Wonach suchen Sie?

alle Jugend-Checks
Jugend-Check zum ReferentenentwurfRegierungsentwurf
24. Juni 2022

Abschaffung der Kostenheranziehung

Entwurf eines Gesetzes zur Abschaffung der Kostenheranziehung von jungen Menschen in der Kinder- und Jugendhilfe (Stand: 01.06.2022) Entwurf eines Gesetzes zur Abschaffung der Kostenheranziehung von jungen Menschen in der Kinder- und Jugendhilfe (Stand: 01.01.1970)

Ressort: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ)

Ziel des Gesetzentwurfs

Mit dem Gesetzentwurf sollen junge Menschen die in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe oder bei Pflegefamilien leben nicht mehr an den Kosten dafür beteiligt werden, wenn sie ein eigenes Einkommen haben. Vgl. „Entwurf eines Gesetzes zur Abschaffung der Kostenheranziehung von jungen Menschen in der Kinder- und Jugendhilfe“ (2022), 1. Ziel ist es junge Menschen, die nicht in ihrer Herkunftsfamilie aufwachsen, auf dem Weg in die Eigenverantwortlichkeit und Selbstständigkeit zu unterstützen. Durch die Abschaffung der Kostenheranziehung sollen sie motiviert werden, finanziell Verantwortung für ihr zukünftiges Leben zu übernehmen. Vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Abschaffung der Kostenheranziehung von jungen Menschen in der Kinder- und Jugendhilfe, 5. Auch die Kostenheranziehung von Ehegattinnen und Ehegatten sowie Lebenspartnerinnen und Lebenspartnern von jungen Menschen und Leistungsberechtigten nach § 19 Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) zu Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe soll aufgehoben werden. Das Gesetz soll gem. Art. 2 am 1. Januar 2023 in Kraft treten.

Zusammenfassung möglicher Auswirkungen

Das Kompetenzzentrum Jugend-Check hat folgende mögliche Auswirkungen identifiziert:

  • Die Neuregelung soll die Kostenheranziehung von leistungsberechtigten jungen Menschen für eine vollstationäre Leistung der Kinder- und Jugendhilfe aus dem eigenen Einkommen vollständig aufheben (§ 92 Abs. 1 SGB VIII). Dadurch könnten junge Menschen, die diese Leistungen beziehen, finanziell entlastet Betroffene junge Menschen könnten dann leichter Geld für Kosten ansparen, welche mit dem oftmals mit der Volljährigkeit anstehenden Auszug aus der Einrichtung oder Pflegefamilie entstehen, wie z.B. eine Wohnungskaution.
  • Die Abschaffung der Kostenheranziehung könnte zudem dazu führen, dass junge Menschen in vollstationären Formen der Jugendhilfe wie auch ihre Ehegattinnen und Ehegatten bzw. Lebenspartnerinnen und Lebenspartnern motivierter sind eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen, da sie nun eigenständig über ihr gesamtes Einkommen verfügen können.
  • Durch die Abschaffung der Kostenheranziehung können junge Menschen in der vollstationären Jugendhilfe zudem selbstständig über ihr eigenes Einkommen verfügen. Dies kann die Eigenverantwortlichkeit der jungen Menschen stärken und zu ihrer Verselbstständigung beitragen.

Betroffene Gruppen junger Menschen

Betroffene sind in der für den Jugend-Check relevanten Altersgruppe junge Menschen bis 27 Jahre, die eine stationäre Leistung aus der Jugendhilfe erhalten, also zum Beispiel in einer Wohngruppe oder einer Pflegefamilie wohnen. Im Jahr 2019 lebten 232.737 junge Menschen in einer stationären Form der Kinder- und Jugendhilfe. Vgl. Autorengruppe Kinder- und Jugendhilfestatistik, „Kinder- und Jugendhilfereport. Extra 2021. Eine kennzahlenbasierte Kurzanalyse.“ (Dortmund, 2021), 22 (zuletzt aufgerufen am: 20.06.2022). Des Weiteren sind junge Ehegattinnen bzw. Ehegatten sowie Lebenspartnerinnen bzw. Lebenspartner von jungen Menschen, die eine stationäre Leistung aus der Kinder- und Jugendhilfe erhalten, betroffen. Schätzungen des Statistischen Bundesamts zufolge haben circa 74o der jungen Menschen in stationären Wohnformen eine Partnerin oder einen Partner, die zu den Kosten herangezogen werden und damit vom vorliegenden Gesetzentwurf betroffen sind. Vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Abschaffung der Kostenheranziehung von jungen Menschen in der Kinder- und Jugendhilfe, 5 Die hier genannte Zahl bezieht sich auch auf Ehegattinnen und Ehegatten bzw. Partnerinnen und Partner von Leistungsberechtigten in gemeinsamen Wohnformen für Mütter/Väter und Kinder nach § 19 SGB VIII, welche teils älter als 27 Jahre sein können.

Jugendrelevante Auswirkungen

Finanzielle Entlastung und Stärkung der Selbstständigkeit junger Menschen in der vollstationären Jugendhilfe

§ 92 Abs. 1 SGB VIII; Aufhebung § 94 Abs. 6 SGB VIII

Mit der Neuregelung soll die Kostenheranziehung aus dem Einkommen von leistungsberechtigten jungen Menschen und Leistungsberechtigten nach § 19 Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) sowie für ihre Ehegattinnen und Ehegatten sowie Lebenspartnerinnen und Lebenspartner für eine vollstationäre Leistung der Kinder- und Jugendhilfe vollständig aufgehoben werden, vgl. § 92. Abs. 1 SGB VIII. Vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Abschaffung der Kostenheranziehung von jungen Menschen in der Kinder- und Jugendhilfe, 1. Nach bisheriger Rechtslage werden junge Menschen, die eine vollstationäre Leistung der Kinder- und Jugendhilfe erhalten nach § 92 Abs. 1 Nr. 1, 2, 3 SGB VIII (geltendes Recht) i.V.m. § 94 Abs. 6 SGB VIII (geltendes Recht) zu den Kosten der Leistung aus ihrem Einkommen herangezogen. Ehegatten und Lebenspartner werden nach bisheriger Rechtslage nach § 92 Abs. 1 Nr. 4 SGB VIII (geltendes Recht) herangezogen.

Durch die Regelung können junge Menschen, die vollstationäre Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe beziehen, finanziell entlastet werden, da sie ihr Einkommen nun vollständig behalten können. Vollstationäre Leistungen umfassen u.a. die Vollzeitpflege, die Heimerziehung und das betreute Wohnen. Seit der Senkung der Kostenheranziehung im Rahmen des Kinder- und Jugendstärkungsgesetzes ist es für die Jugendämter noch möglich, anstatt zuvor 75 Prozent noch bis zu 25 Prozent des Einkommens der jungen Menschen für ihren Unterhalt heranzuziehen. Vgl. „Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen (Kinder- und Jugendstärkungsgesetz – KJSG)“, 2. Dezember 2020, 33, 131f. Durch die komplette Aufhebung der Kostenheranziehung könnten junge Menschen, die nicht bei ihren Eltern aufwachsen, selbst in vollem Umfang über ihr Einkommen verfügen und dies für ihre Zwecke, wie z.B. den Führerschein oder den Besuch eines Konzerts, nutzen. Junge Menschen, welche in einer Pflegefamilie oder einer Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe leben, könnten damit Kindern und Jugendlichen, die in ihren Herkunftsfamilien aufwachsen, gleichgestellt werden, da hier davon auszugehen ist, dass diese in den meisten Fällen selbst verdientes Geld für eigene Wünsche ausgeben dürfen. Gerade für junge Menschen in vollstationären Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe ist es zudem wichtig Geld sparen zu können, für Kosten, welche mit dem oftmals mit der Volljährigkeit oder kurz darauf anstehenden Auszug aus der Einrichtung oder Pflegefamilie entstehen, wie z.B. eine Wohnungskaution. Vgl. Careleaver e.V., „Stellungnahme des Careleaver e. V. zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen“, 2020, 7, https://www.careleaver.de/wp-content/uploads/2021/05/Stellungnahme_KJSG_Careleaver-eV.pdf (zuletzt aufgerufen am: 20.06.2022).

Auch junge Ehegattinnen oder Ehegatten bzw. Lebenspartnerinnen oder Lebenspartner können durch die Neuregelung finanziell entlastet werden, da sie nicht mehr zu den Kosten der Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe, welche für ihre Partnerinnen bzw. Partnern entstehen, herangezogen werden können. Junge Partnerinnen und Partner von jungen Menschen in stationären Formen der Jugendhilfe könnten dann mehr Geld zur Verfügung haben und selbstbestimmt über ihr eigenes Einkommen verfügen. Es ist davon auszugehen, dass sie selbst in den meisten Fällen junge Menschen sind, die vielfach noch über ein geringeres Einkommen als Menschen aus anderen Altersgruppen verfügen und dieses benötigen, um ihren Lebensunterhalt aber auch langfristige Ziele zu bestreiten. Ein solches Ziel kann z.B. das gemeinsame Zusammenleben mit ihrer Partnerin bzw. ihrem Partner sein, für welches sie sparen. Gerade für junge Menschen stehen mit einem Umzug eine Vielzahl an oftmals teuren Erstanschaffungen an, da sie noch nicht die Möglichkeit hatten, über die Jahre Möbel und andere Einrichtungsgegenstände zu erwerben.

Die Verfügung über eigenes Einkommen kann zudem die Eigenverantwortlichkeit junger Menschen stärken und zur Verselbstständigung beitragen. Vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Abschaffung der Kostenheranziehung von jungen Menschen in der Kinder- und Jugendhilfe, 5, 11. Die Verselbstständigung ist eine der Kernherausforderungen des Jugendalters Vgl. BT-Drucksache 18/11050, „15. Kinder- und Jugendbericht. Bericht über die Lebenssituation junger Menschen und die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland“ (Berlin, 2017), 178., die insbesondere für junge Menschen in vollstationären Einrichtungen schwieriger zu erreichen sein kann als für junge Menschen in ihren Herkunftsfamilien. Durch die zumindest räumlich bereits stattgefundene Loslösung vom Elternhaus bei jungen Menschen in vollstationären Formen der Jugendhilfe, setzt ein wichtiger Teil des Verselbstständigungsprozesses bereits früh ein. Jedoch sind sie in diesem Prozess auch stärker auf sich gestellt als junge Menschen, die in ihren Herkunftsfamilien aufwachsen. Vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Abschaffung der Kostenheranziehung von jungen Menschen in der Kinder- und Jugendhilfe, 1. Die bisherige Heranziehung des Einkommens junger Menschen zu den Kosten der Jugendhilfe steht im Gegensatz hierzu, da es ihre Selbstständigkeit und Verselbstständigung einschränkt. Durch die Abschaffung der Kostenheranziehung aus dem Einkommen wird diesem Gegensatz entgegengewirkt und die Selbstbestimmung betroffener junger Menschen gestärkt. Die Abschaffung der Kostenheranziehung könnte zudem dazu führen, dass junge Menschen in vollstationären Formen der Jugendhilfe motivierter sind eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen, da sie nun eigenständig über ihr gesamtes Einkommen verfügen können. Vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Abschaffung der Kostenheranziehung von jungen Menschen in der Kinder- und Jugendhilfe, 11.

Anmerkungen und Hinweise

Die Abschaffung der Kostenheranziehung soll sich auch in Zukunft nicht auf junge Menschen, die eine Berufsausbildung für Menschen mit Behinderung absolvieren und Ausbildungsgeld nach § 122 SGB III erhalten, beziehen. Darunter fallen u.a. vom Jobcenter geförderte Berufsausbildungen und berufsvorbereitende Maßnahmen. Vgl. Bundesverband der Pflege- und Adoptivfamilien e.V., „Nachbesserungsbedarf bei ‚Ausbildungsgeld‘ bei über SGB II und III geförderten Ausbildungen für Kinder in Pflegefamilien (§ 33 SGB VIII) und sonstigen stationären Formen der Hilfe zur Erziehung (§ 34 SGB VIII) oder Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII“, 2022, https://www.pfad-bv.de/dokumente/2022-03-22%20PM%20Ausbildungsgeld.pdf (zuletzt aufgerufen am: 20.06.2022). Schätzungen zufolge könnte dies allerdings etwa ein Drittel der jungen Erwachsenen in Pflegefamilien betreffen. Vgl. Der Paritätische Gesamtverband, „Der Paritätische begrüßt den Referentenentwurf der Bundesregierung zur Abschaffung der Kostenheranziehung für junge Menschen im SGB VIII und weist auf weiteren Regelungsbedarf hin“, 13. Juni 2022, https://www.der-paritaetische.de/themen/soziale-arbeit/kindertagesbetreuung/der-paritaetische-begruesst-den-referentenentwurf-der-bundesregierung-zur-abschaffung-der-kostenheranziehung-fuer-junge-erwachsene-im-sgb-viii-und-weist-auf-weiteren-regelungsbedarf-hin/ (zuletzt aufgerufen am: 20.06.2022). Dieses Ausbildungsgeld soll auch nach der Neuregelung zur Kostenbeteiligung herangezogen werden, denn es wird nach § 93 Abs. 1 S. 3 SGB VIII nicht als Einkommen gewertet. Sich in der Ausbildung befindende junge Menschen werden mit der Neuregelung der Kostenheranziehung nun gegenüber jungen Menschen auf dem ersten Arbeitsmarkt noch schlechter gestellt, da ihr Ausbildungslohn bereits jetzt in vollem Umfang zu den Kosten herangezogen wird und sie nicht, wie die Auszubildenden auf dem ersten Arbeitsmarkt, zumindest einen Teil davon behalten dürfen. Die vollständige Abschaffung der Kostenheranziehung bei als Einkommen gewerteten Ausbildungsgehältern auf dem ersten Arbeitsmarkt könnte ihre Motivation eine nach § 122 SGB III bezahlte Ausbildung anzufangen nochmals dämpfen. Dadurch würden sie langfristig schlechtere Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben, was einer Verselbstständigung entgegenstehen kann.

Zwar werden die Kosten aus dem Einkommen nicht mehr herangezogen, es verbleibt jedoch eine Kostenheranziehung von Jugendlichen und jungen Volljährigen mit Geldleistungen, die dem gleichen Zweck wie die jeweilige Leistung der Jugendhilfe dienen. Vgl. §§ 92 Abs. 1a, 93 Abs. 1 S. 3 SGB VIII Dabei handelt es sich z.B. um Halbwaisenrente, BAföG und Kindesunterhalt. Vgl. §§ 92 Abs. 1a, 93 Abs. 1 S. 3 SGB VIII Damit können junge Menschen weiterhin nicht frei über diese Leistungen verfügen. Haben junge Menschen kein eigenes Einkommen, beziehen jedoch eine solche Leistung, bleibt ihre Möglichkeit einen selbstständigen und eigenverantwortlichen Umgang mit Geld zu erlernen also beschränkt.

Quellen

Quellen

nach oben