Quellen
Ziel des Gesetzentwurfs
Mit dem Gesetz zur Verbesserung der Rückführung (Rückführungsverbesserungsgesetz) sollen rechtliche Änderungen im Aufenthalts- und Asylrecht vorgenommen werden, u.a. mit dem Ziel die Ausländerbehörden zu entlasten. Vgl. „Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rückführung“, 25. Oktober 2023, 2. Hierfür sollen insbesondere die Regelungen, die Abschiebemaßnahmen verhindern oder erschweren, modifiziert werden. Vgl. „Rückführungsverbesserungsgesetz“, 1. Zudem sollen Anpassungen des nationalen Rechts an Unionsrecht und die Rechtsprechung bzw. Entscheidungen des Europäischen Gerichtshof (EUGH) hinsichtlich der Rückführung erfolgen. Vgl. „Rückführungsverbesserungsgesetz“, 2.
Zusammenfassung möglicher Auswirkungen
Das Kompetenzzentrum Jugend-Check hat folgende mögliche Auswirkungen identifiziert:
- Künftig soll durch den Wegfall von § 60 Abs. 5 S. 4 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) die Abschiebung von Ausländerinnen und Ausländern, denen gem. § 60a AufenthG eine Duldung erteilt wurde, und bei denen die Abschiebung für länger als ein Jahr ausgesetzt war, nicht mehr angekündigt werden. Allerdings soll hiervon eine Ausnahme für Ausländerinnen und Ausländer mit Kindern unter 12 Jahren gelten, deren Abschiebung für länger als ein Jahr ausgesetzt ist, in diesem Fall ist die Abschiebung weiterhin mindestens einen Monat vorher anzukündigen (§ 60a Abs. 5a S. 1 Hs. 1 AufenthG). Dies kann für Minderjährige ab 12 Jahren, die mit ihren Familien länger als ein Jahr geduldet sind, zur Folge haben, dass sich die Angst und Unsicherheit abgeschoben zu werden, verstärkt.
- Zudem könnte es für geduldeten Minderjährigen über 12 Jahre traumatisierend und belastend sein, wenn sie ohne Ankündigung aus ihrem Alltag und sozialen Umfeld herausgerissen und abgeschoben werden und sich nicht verabschieden können. Die Wahl der Altersgrenze von 12 Jahren, bei der eine Information über eine anstehende Rückführung innerhalb von vier Wochen erfolgen muss, kann insgesamt als fehlende Beachtung des Minderjährigenschutzes im Sinne von Art. 3 der UN-Kinderrechtskonvention gedeutet werden.
- Des Weiteren soll der Katalog der Gründe, wann ein Asylantrag als offenkundig unbegründet abzulehnen ist erweitert und neu strukturiert werden. Die Gründe, wann ein Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen ist, sollen in Hinblick auf den Asylantrag unbegleiteter Minderjähriger nur eingeschränkt zur Anwendung gelangen (§ 30 Abs. 2 AsylG). Dies könnte die Ablehnung der Asylanträge unbegleiteter Minderjähriger erschweren, was den Betroffenen eine etwas sicherere Bleibeperspektive ermöglichen könnte.
Betroffene Gruppen junger Menschen
Normadressatinnen und -adressaten sind junge Menschen bis 18 Jahre aus Drittstaaten, die als unbegleitete Minderjährige nach Deutschland kommen und einen Asylantrag stellen. Im Jahr 2022 stellten insgesamt 7.277 unbegleitete Minderjährige in Deutschland einen Asylantrag. Rund 92 Prozent der Antragstellenden waren männlich und rund acht Prozent weiblich. Vgl. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, „Das Bundesamt in Zahlen 2022. Asyl“, 2023, 22, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Statistik/BundesamtinZahlen/bundesamt-in-zahlen-2022-asyl.pdf?__blob=publicationFile&v=9 (zuletzt abgerufen am: 18.10.2023).
Betroffen sind in der für den Jugend-Check relevanten Altersgruppe junge Menschen von 12 bis 17 Jahren deren Familien aus Drittstaaten kommen Drittstaaten sind solche Staaten, die nicht Mitgliedsstaaten der Europäischen Union sind. Die Schweiz gilt ebenfalls nicht als Drittstaat. und die keine dauerhafte Bleibeperspektive in Deutschland haben. Dies sind beispielsweise Familie, die im Besitz einer Duldung sind und rückgeführt werden sollen.
Jugendrelevante Auswirkungen
Modifizierung der Rückführungsvorschriften für Minderjährige
§§ 59 Abs. 1 S. 1; 60a Abs. 5a S. 1 AufenthG, §§ 30 Abs. 2; 34 Abs. 1 Nr. 4 AsylG
Mit der Gesetzesänderung soll durch den Wegfall von § 60 Abs. 5 S. 4 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) die Abschiebung von Ausländerinnen und Ausländern, denen gem. § 60a AufenthG eine Duldung erteilt wurde, und bei denen die Abschiebung für länger als ein Jahr ausgesetzt war, künftig nicht mehr angekündigt werden. Derzeit muss eine durch Widerruf vorgesehen Abschiebung, soweit sie länger als ein Jahr ausgesetzt war, mindestens einen Monat vorher angekündigt werden. Vgl. § 60a Abs. 5 S. 4 AufenthG Die Vorschrift soll allerdings eine Ausnahme für Ausländerinnen und Ausländer mit Kindern unter 12 Jahren machen, deren Abschiebung für länger als ein Jahr ausgesetzt ist, in diesem Fall ist die Abschiebung weiterhin mindestens einen Monat vorher anzukündigen, vgl. § 60a Abs. 5a S. 1 Hs. 1 AufenthG.
Zudem soll eine Androhung der Abschiebung gem. § 59 AufenthG künftig nur dann erfolgen dürfen, wenn der Abschiebung das Kindeswohl oder familiäre Bindungen nicht entgegenstehen, vgl. § 59 Abs. 1 S. 1 AufenthG. Dies soll auch für die Abschiebungsandrohung gem. § 34 AufenthG gelten. Ein Rückkehrbescheid soll ebenfalls nur erlassen werden dürfen, wenn zum Zeitpunkt der Rückkehrentscheidung das Kindeswohl oder familiäre Bindungen nicht entgegenstehen, vgl. § 34 Abs. 1 Nr. 4 Asylgesetz (AsylG). Diese Verpflichtung zur Prüfung des Kindeswohls und der Belange der familiären Bindung vor Erlass einer Ausreiseaufforderung und Abschiebeandrohung ergibt sich aus der Rechtsprechung des EUGH zum Vorliegen von Abschiebehindernissen und Art. 5 a – c der Rückführungsrichtlinie (RL 2008/115/EG). Vgl. „Rückführungsverbesserungsgesetz“, 49; 50; 66.
Des Weiteren sieht das Gesetz die Neustrukturierung der Vorschrift für offensichtlich unbegründete Asylanträge vor. Hierbei soll der Katalog der Gründe, wann ein Asylantrag als offenkundig unbegründet abzulehnen ist erweitert und neu strukturiert werden. Die Gründe, wann ein Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen ist, sollen in Hinblick auf den Asylantrag unbegleiteter Minderjähriger nur eingeschränkt zur Anwendung gelangen. Vgl. „Rückführungsverbesserungsgesetz“, 65. Für sie soll ein Asylantrag nur dann als offensichtlich unbegründet gelten und ist damit stets abzulehnen, wenn einer der Tatbestände des § 30 Abs. 1 Nr. 7 – 9 erfüllt ist, vgl. § 30 Abs. 2 AsylG.
Für junge Menschen zwischen 12 und 17 Jahren, die mit ihren Familien länger als ein Jahr geduldet sind, kann die Gesetzesänderung zur Folge haben, dass sich die Angst und Unsicherheit, abgeschoben zu werden, verstärkt. Denn sie werden, sofern es dem Kindeswohl oder familiären Bindungen nicht entgegensteht, fortan nicht mehr über eine drohende bzw. tatsächliche Rückführung innerhalb einer vierwöchigen Frist informiert. Gerade junge Betroffene, die aufgrund der drohenden Abschiebung bereits jetzt von schwerwiegenden psychischen und physischen Beeinträchtigungen u.a. in Form von Schmerzzuständen, Schlaf- und Konzentrationsstörungen, Albträumen oder Hyperarousal (Übererregung) betroffen sein können, kann sich diese Situation verschärfen. Vgl. Deutsche Sektion der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges / Ärzte in sozialer Verantwortung e. V. (IPPNW), „Die gesundheitlichen Folgen von Abschiebungen. Eine Einordnung und Kritik aus ärztlicher und psychotherapeutischer Sicht“, 2020, 31–33, https://ippnw.de/commonFiles/pdfs/Soziale_Verantwortung/Report_Gesundheitliche-Folgen-Abschiebung_FINAL_web.pdf (zuletzt abgerufen am: 19.10.2023). Auch leben die geduldeten Minderjährigen meist bereits über einen längeren Zeitraum in Deutschland, besuchen die Schule oder absolvieren eine Ausbildung und haben enge Freundschaften und Beziehungen aufgebaut. Vgl. Deutsche Sektion der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges / Ärzte in sozialer Verantwortung e. V. (IPPNW), 33. Sofern sie ohne Ankündigung aus ihrem Alltag und sozialen Umfeld herausgerissen und abgeschoben werden, kann dies für sie traumatisierend und belastend sein. Da unklar ist, wie das Kindeswohl in Bezug auf die Rückführungsentscheidung ausgelegt wird, kann ihnen durch die Neuregelung zum einen die Möglichkeit genommen werden, sich persönlich von ihren Freunden und Bekannten zu verabschieden und persönliche Angelegenheiten zu klären oder wichtigen Unterlagen und Sachen zusammenzupacken. Vgl. Der Paritätische Gesamtverband, „Stellungnahme des Paritätischen Gesamtverbandes zum Referentenentwurf des Bundesministeriums des Innern und für Heimat zum Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rückführung (Rückführungsverbesserungsgesetz)“, 2023, 4, https://www.der-paritaetische.de/fileadmin/user_upload/Stellungnahme_Parit%C3%A4t_R%C3%BCckf%C3%BChrungsG.pdf (zuletzt abgerufen am: 19.10.2023). Zum anderen bleibt den Eltern der minderjährigen Geflüchteten durch die fehlende Ankündigung verwehrt, sich rechtlich beraten zu lassen, wodurch sich die Bleibeperspektive nochmals verringern könnte.
Darüber hinaus kann die nunmehr gewählte Altersgrenze von 12 Jahren, bei der eine Information über eine anstehende Rückführung erfolgen muss, insgesamt als fehlende Beachtung des Minderjährigenschutzes gedeutet werden. Vgl. Deutscher Bundestag, „Sachverständigen-Stellungnahme von PRO ASYL für die öffentliche Anhörung am 27. März 2017 vor dem Innenausschuss des Deutschen Bundestages zum Gesetzentwurf der Bundesregierung Entwurf eines Gesetzes zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht BR-Drucksache 179/17“, 2017, 15, https://www.bundestag.de/resource/blob/500016/c93c5454d698d8b0e8f08117cefae473/18-4-825-A-data.pdf (zuletzt abgerufen am: 19.10.2023). So gilt laut Art. 3 der UN-Kinderrechtskonvention, dass „bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, gleichviel ob sie von öffentlichen oder privaten Einrichtungen der sozialen Fürsorge, Gerichten, Verwaltungsbehörden oder Gesetzgebungsorganen getroffen werden, das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt [ist], der vorrangig zu prüfen [ist]“ Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, „Übereinkommen über die Rechte des Kindes. VN-Kinderrechtskonvention im Wortlaut mit Materialien“, 2022, 12, https://www.bmfsfj.de/resource/blob/93140/78b9572c1bffdda3345d8d393acbbfe8/uebereinkommen-ueber-die-rechte-des-kindes-data.pdf (zuletzt abgerufen am: 19.10.2023).. Mit dem künftigen Verzicht einer Ankündigung der Rückführung könnten Geduldete Minderjährige ab 12 Jahren als vulnerable Gruppe daher nicht ausreichend geschützt werden. Zudem begründet der Gesetzgeber nicht, wieso die Altersgrenze ab 12 Jahren gezogen wird und ab diesem Alter, eine geringere Schutzwürdigkeit angenommen werden soll. Für alle Minderjährigen soll bei der Androhung einer Abschiebung als auch beim Erlass eines Rückkehrbescheids jedoch das Kindeswohl oder die familiäre Bindungen Berücksichtigung finden. Dies stellt im Vergleich zum Status quo eine Verbesserung dar und kann zum Schutz Minderjähriger beitragen. Bisher gilt, dass das Kindeswohl oder die familiäre Bindung erst beim Vollzug der Abschiebung durch die Ausländerbehörde berücksichtigt wird. Vgl. Bundesweiter Koordinierungskreis gegen Menschenhandel e.V., „EuGH, Beschluss vom 15.2.2023. Aktenzeichen C-484/22“, 2023, https://www.kok-gegen-menschenhandel.de/rechtsprechungsdatenbank/datenbank/detailansicht?tx_t3ukudb_urteile%5Baction%5D=show&tx_t3ukudb_urteile%5Bcontroller%5D=Item&tx_t3ukudb_urteile%5Bitem%5D=492&cHash=c36a4bd7e010b5adc262f52f28576aa0 (zuletzt abgerufen am: 23.10.2023). Dadurch, dass fortan eine Kindeswohlprüfung erfolgen soll, könnte für Minderjährige möglicherweise die Abschiebungen vorerst aufgeschoben werden oder gänzlich verhindert werden, etwa wenn ein Schulabschluss kurz bevorsteht. Somit könnten die Auswirkungen des Wegfalls der Vorankündigung des Vollzugs einer Abschiebung abgemildert werden könnte, da ggf. kein Rückführungsbescheid ergeht.
Auch unbegleitete minderjährige Geflüchtete könnten künftig durch die Regelung, dass die Gründe, wann ein Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen ist, nur eingeschränkt für sie gelten sollen, umfassender geschützt werden. Dies könnte die Ablehnung der Asylanträge unbegleiteter minderjähriger Geflüchteter erschweren, was den Betroffenen eine etwas sicherere Bleibeperspektive ermöglichen könnte.