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Jugend-Check zum ReferentenentwurfRegierungsentwurf
23. März 2022

Sofortzuschlag

Entwurf eines Gesetzes zur Regelung eines Sofortzuschlages für Kinder und einer Einmalzahlung an erwachsene Leistungsberechtigte der sozialen Mindestsicherungssysteme aus Anlass der COVID-19-Pandemie (Sofortzuschlags- und Einmalzahlungsgesetz) (Stand: 16.03.2022)

Ressort: Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS), Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ)

Quellen

Ziel des Gesetzentwurfs

Mit dem Sofortzuschlags- und Einmalzahlungsgesetz wird u.a. das Ziel verfolgt, bis zur Einführung einer Kindergrundsicherung hilfebedürftige Kinder und Jugendliche durch einen Sofortzuschlag ergänzend zu unterstützen, da ihre Ausgangslage armutsgefährdend und ihre Teilhabe am gesellschaftlichen Leben oder im Bereich Bildung und Ausbildung erschwert sei. Vgl. „Entwurf eines Gesetzes zur Regelung eines Sofortzuschlages für Kinder und einer Einmalzahlung an erwachsene Leistungsberechtigte der sozialen Mindestsicherungssysteme aus Anlass der COVID-19-Pandemie (Sofortzuschlags- und Einmalzahlungsgesetz)“, 16. März 2022, 11. Die Regelungen zum Sofortzuschlag sollen am 01. Juli 2022 in Kraft treten, vgl. Artikel 8 Abs. 1 Sofortzuschlags- und Einmalzahlungsgesetz.

Zusammenfassung möglicher Auswirkungen

Das Kompetenzzentrum Jugend-Check hat folgende mögliche Auswirkungen identifiziert:

  • Es soll ein Sofortzuschlag in Höhe von 20 Euro pro Monat für leistungsberechtigte junge Menschen eingeführt werden (§§ 72 Abs. 1 SGB II, 145 Abs. 1 SGB XII, 88f Abs. 1 BVG, 16 AsylbLG, 6a Abs. 2 S. 4 BKGG). Das führt dazu, dass sich ihr monatlich zur Verfügung stehendes Einkommen erhöht.
  • Ob sich die Erhöhung jedoch als Beitrag zur gesellschaftlichen Teilhabe oder zur Teilhabe an Bildung und Ausbildung auswirkt, ist aus unterschiedlichen Gründen fraglich: Zum einen, da die Berechnung der Regelbedarfe kritisiert und als zu niedrig beschrieben wird. Zum anderen, weil die Kosten für Miete, Strom und Lebensmittel stark gestiegen sind. Das könnte bewirken, dass der Sofortzuschlag nicht zur Teilhabe, sondern zur Deckung des täglichen Bedarfs junger Menschen genutzt wird.
  • Der Sofortzuschlag soll nicht zurückgefordert werden, auch wenn die zugrundeliegenden Leistungen, wie etwa der Anspruch auf Arbeitslosengeld II entfällt (§§ 72 Abs. 2 S. 1 SGB II, 145 Abs. 2 S. 1 SGB XII, 88f Abs. 2 S. 1 BVG). Das kann für junge Menschen und ihre Familien hilfreich sein, da sie keine Angst vor eventuellen Rückforderungen haben müssen.

Betroffene Gruppen junger Menschen

Betroffene sind in der für den Jugend-Check relevanten Altersgruppe junge Menschen zwischen 12 und 25 Jahren, die einen Anspruch auf Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II), Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII), Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) oder den Ergänzenden Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) haben oder deren Eltern oder Erziehungsberechtigte den Kinderzuschlag erhalten. Im Juni 2021 lebten 1.851.339 junge Menschen unter 18 Jahren in Bedarfsgemeinschaften. Zu diesem Zeitpunkt lebten zudem 2.055.522 unverheiratete Kinder bis unter 25 Jahren, in Bedarfsgemeinschaften, die Ihren Lebensunterhalt nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen bestreiten konnten. Vgl. Bundesagentur für Arbeit, „Kinder in Bedarfsgemeinschaften (Monatszahlen). Deutschland, West/Ost, Länder und Kreise. Juni 2021“, 2021, Tabelle 2.1.

Jugendrelevante Auswirkungen

Sofortzuschlag für von Armut bedrohte junge Menschen

§§ 72 Abs. 1 und 2 S. 1 SGB II, 145 Abs. 1 und 2 S. 1 SGB XII, 88f Abs. 1 und 2 S. 1 BVG, 16 AsylbLG, 6a Abs. 2 S. 4 BKGG

Ab Juli 2022 soll ein Sofortzuschlag in Höhe von 20 Euro pro Monat für junge Menschen eingeführt werden, die einen Anspruch auf Arbeitslosengeld II (ALG II) oder Sozialgeld haben und einen Regelbedarf u.a. nach den Stufen 3 oder 4 beziehen, vgl. § 72 Abs. 1 S. 1 und S. 3 SGB II. Der Anspruch auf Sofortzuschlag soll auch dann bestehen, wenn junge Menschen lediglich Anspruch „auf eine Bildungs- und Teilhabeleistung haben“ oder sie keinen eigenen Regelbedarf erhalten (Anspruch auf ALG II oder Sozialgeld), weil Kindergeld im Rahmen der Hilfebedürftigkeitsprüfung als Einkommen anerkannt wurde, vgl. § 72 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 und Nr. 2 SGB II. Vgl. „(Sofortzuschlags- und Einmalzahlungsgesetz)“, 17. Der Anspruch auf Sofortzuschlag soll rückwirkend nicht aufgehoben oder zurückgefordert werden, auch wenn die Bewilligung der zugrundeliegenden Leistung rückwirkend geändert wird oder wegfällt, vgl. § 72 Abs. 2 S. 1 SGB II.

Den Sofortzuschlag in Höhe von 20 Euro monatlich sollen ab Juli 2022 ebenfalls Minderjährige erhalten, die einen Regelsatz u.a. nach den Stufen 4 oder 5 nach Kapitel 3 SGB XII (Hilfe zum Lebensunterhalt) erhalten, vgl. § 145 Abs. 1 S. 1 und S. 3 SGB XII. Leistungsberechtigte Minderjährige sollen den Sofortzuschlag auch dann erhalten, wenn sie einen Anspruch auf Bedarfe für Bildung und Teilhabe nach § 34 SGB XII haben oder bei ihnen kein Anspruch auf Leistungen für Hilfe zum Lebensunterhalt bzw. nach § 34 SGB XII besteht, weil bei ihnen Kindergeld im Rahmen der Hilfebedürftigkeitsprüfung als Einkommen angerechnet wird, vgl. § 145 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 und Nr. 2 SGB XII. Vgl. „(Sofortzuschlags- und Einmalzahlungsgesetz)“, 20. Auch nach SGB XII soll der Sofortzuschlag rückwirkend nicht aufgehoben werden, wenn die Bewilligung von Leistungen nach § 145 Abs. 1 S. 1 und 2 Nr. 1 SGB XII rückwirkend geändert wird oder wegfällt, vgl. § 145 Abs. 2 S. 1  SGB XII.

Auch Minderjährige, die Ergänzende Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 27a BVG beziehen, welche sich u.a. nach den Stufen des Regelbedarfs 4 oder 5 im SGB XII (Anlage zu § 28 SGB XII) bemisst, sollen ab Juli 2022 einen Sofortzuschlag in Höhe von 20 Euro monatlich erhalten, vgl. § 88f Abs. 1 S. 1 und S. 3 BVG. Sie sollen den Sofortzuschlag auch dann erhalten, wenn die Leistungsberechtigten Bildungs- und Teilhabeleistungen nach § 27a BVG i.V.m. § 34 SGB XII beziehen oder die Leistungen nach § 88f Abs. 1 S. 1 oder Abs. 1 S. 2 Nr. 1 nicht beziehen, weil Kindergeld als Einkommen im Rahmen des § 30 Abs. 3 Verordnung für Kriegsopferfürsorge angerechnet wird, vgl. § 88f Abs. 1 S. 2 Nr. 1 und Nr. 2 BVG. Der Sofortzuschlag soll rückwirkend nicht aufgehoben oder zurückgefordert werden, wenn die Bewilligungen nach § 88f Abs. 1 S. 1 oder nach Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BVG rückwirkend geändert wird oder wegfällt, vgl. § 88f Abs. 2 S. 1 BVG.

Der monatliche Sofortzuschlag soll darüber hinaus ab Juli 2022 auch im Asylbewerberleistungsgesetz für Leistungsberechtigte Minderjährige und Leistungsberechtigte bis zum 25. Lebensjahr ausgezahlt werden, sofern sie unverheiratet sind und mit mindestens einem Elternteil in einer Wohnung zusammenleben, vgl. § 16 S. 1 und 2 AsylbLG.

Des Weiteren soll der Sofortzuschlag ab Juli 2022 auch den Kinderzuschlag um 20 Euro pro Monat erhöhen, vgl. § 6a Abs. 2 S. 4 BKGG.

Durch die Neuregelungen erhalten Jugendliche und junge Erwachsene im Leistungsbezug des SGB II, SGB XII, AsylbLG, BVG und solche, deren Eltern oder Erziehungsberechtigte Kinderzuschlag beziehen, einen Sofortzuschlag in Höhe von 20 Euro pro Monat, wodurch sich ihr monatlich zur Verfügung stehender Geldbetrag erhöht. Der Gesetzgeber argumentiert, dass damit neue „finanzielle Spielräume“ geschaffen werden und sich die Teilhabechancen betroffener junger Menschen verbessern können, wohingegen durch den Sofortzuschlag kein konkreter Bedarf gedeckt werden soll, da die existenzsichernden Bedarfe bereits abgedeckt seien. Vgl. „(Sofortzuschlags- und Einmalzahlungsgesetz)“, 16. Ob sich durch die Neuregelungen jedoch finanzielle Spielräume zur besseren Teilhabe Jugendlicher und junger Erwachsener eröffnen, ist aus mehreren Gründen fraglich. Zum einen wird die Ermittlung der Regelbedarfe seit Jahren dahingehend kritisiert, dass etwa bei der Berechnung der Regelbedarfe einzelne Posten aus der Einkommens- und Verbraucherstichprobe gestrichen werden, die als nicht regelbedarfsrelevant eingestuft werden. Darüber hinaus wird kritisiert, dass Menschen in verdeckter Armut in die Grundlage zur Berechnung der Regelbedarfe mit einbezogen werden und die Referenzgruppen zur Berechnung der Regelbedarfe für Kinder- und Jugendliche zu klein sind, um eine statistisch verlässliche Grundlage zur Berechnung der Regelbedarfe zu erlangen. Vgl. Irene Becker, „Bewertung der Neuregelungen des SGB II Methodische Gesichtspunkte der Bedarfsbemessung vor dem Hintergrund des »Hartz-IV-Urteils« des Bundesverfassungsgerichts“, Soziale Sicherheit. Zeitschrift für Arbeit und Soziales, Nr. Sonderheft (September 2011): u.a. 33 ff., 50 ff.; Vgl. Stefan Aust, Joachim Rock, und Greta Schabram, „Regelbedarfe 2021. Alternative Berechnungen zur Ermittlung der Regelbedarfe in der Grundsicherung“ (Paritätischer Gesamtverband, September 2020), 7 f., 22. Daraus abgeleitet wird, dass die Regelbedarfe zu niedrig und nicht bedarfsgerecht sind. Siehe dazu u.a. Vgl. Stefan Aust, Joachim Rock, und Greta Schabram, „Regelbedarfe 2021. Alternative Berechnungen zur Ermittlung der Regelbedarfe in der Grundsicherung“; Vgl. Irene Becker, „Bewertung der Neuregelungen des SGB II Methodische Gesichtspunkte der Bedarfsbemessung vor dem Hintergrund des »Hartz-IV-Urteils« des Bundesverfassungsgerichts“; Vgl. Irene Becker und Verena Tobsch, „Regelbedarfsbemessung – methodisch konsistente Berechnungen auf Basis der EVS 2013 unter Berücksichtigung von normativen Vorgaben der Diakonie Deutschland Projektbericht im Auftrag der Diakonie Deutschland – Evangelischer Bundesverband“, 11. November 2016. Bereits 2018 waren 10,5 Prozent der unter 18-Jährigen in Deutschland armutsgefährdet und gleichzeitig im SGB II-Bezug. Vgl. Bertelsmann Stiftung, „Factsheet Kinderarmut in Deutschland“, Juli 2020, 2, Abb. 1.

Zum anderen werden die Regelbedarfe auf Grundlage der Einkommens- und Verbraucherstichprobe, die alle fünf Jahre erhoben wird, berechnet. Zuletzt wurde die EVS im Jahr 2018 durchgeführt. Seitdem gab es jedoch eine Vielzahl von Mehrbelastungen für junge Menschen und deren Familien. Zu nennen sind Kosten, die sich aus der Covid-19-Pandemie ergeben (z.B. für Unterricht zuhause), gestiegene Mietkosten insbesondere in Städten und Ballungsgebieten Vgl. Bundesministerium des Inneren, für Heimat und Bau, „Wohngeld- und Mietenbericht 2018“ (Berlin, 2019), 38, Tab. 3., steigende Energiepreise und höhere Preise für Lebensmittel. So sind die Kosten für Lebensmittel im Februar 2022 um 5,3 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat gestiegen, wobei die Kosten für frisches Gemüse um 11 Prozent und für Molkereiprodukte und Butter um 6,7 Prozent gestiegen sind. Vgl. Statistisches Bundesamt (Destatis), „Inflationsrate im Februar 2022 voraussichtlich +5,1%“, Pressemitteilung Nr. 081, 1. März 2022. Allein aufgrund gestiegener Lebenshaltungskosten wäre es daher fraglich, ob 20 Euro pro Monat wesentlich zu einer verbesserten Teilhabe junger Menschen beitragen können.

Da die Regelbedarfe nach dem Asylbewerberleistungsgesetz niedriger als die Regelsätze im SGB II liegen, kann hier noch stärker davon ausgegangen werden, dass der Sofortzuschlag eher zu einer Deckung des täglichen Bedarfs Jugendlicher und junger Erwachsener als zur gesellschaftlichen Teilhabe beiträgt.

Für junge Menschen und ihre Familien kann es hilfreich sein, dass der Sofortzuschlag nicht zurückgefordert werden kann, auch wenn die zugrundeliegenden Leistungen, wie etwa der Anspruch auf Arbeitslosengeld II entfällt. Dadurch kann der Sofortzuschlag fest eingeplant werden, ohne Angst vor eventuellen Rückforderungen haben zu müssen. Dies kann besonders für junge Menschen in Familien von Bedeutung sein, die durch ein niedriges Einkommen ergänzende ALG II-Leistungen beziehen und z.B. durch schwankendes Einkommen, aus dem Bezug wieder herausfallen können.

Quellen

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