Ziel des Gesetzentwurfs
Mit dem Gesetz zur Einführung eines Chancen-Aufenthaltsrechts (ChAR-Gesetz) wird das Ziel verfolgt, geduldeten Ausländerinnen und Ausländern, die am 1.1.2022 seit mehr als fünf Jahren ununterbrochen gestattet, geduldet oder mit einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen im Bundesgebiet leben, die Möglichkeit zu eröffnen, die fehlenden Voraussetzungen für einen dauerhaften Aufenthalt nachzuholen. Vgl. „Entwurf eines Gesetzes zur Einführung eines Chancen-Aufenthaltsrechts (Chancen-Aufenthaltsrechtsgesetz – ChAR-Gesetz)“, 27. Mai 2022, 10. Zudem soll die Aufenthaltsgewährung von Menschen, die sich wirtschaftlich und sozial in Deutschland integriert haben sowie von Jugendlichen und Heranwachsenden, die noch nicht die Voraussetzungen für eine Aufenthaltserlaubnis erfüllen, erleichtert werden. Vgl. „Chancen-Aufenthaltsrechtsgesetz – ChAR-Gesetz“, 2; 9.
Zusammenfassung möglicher Auswirkungen
Das Kompetenzzentrum Jugend-Check hat folgende mögliche Auswirkungen identifiziert:
- Künftig soll geduldeten Ausländerinnen und Ausländern, die sich am 1. Januar 2022 seit fünf Jahren ununterbrochen geduldet, gestattet oder mit einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen in Deutschland aufhalten, für die Dauer eines Jahres eine Aufenthaltserlaubnis auf Probe erteilt werden (§ 104c Abs. 1 AufenthG). Dies kann ihnen eine gesichertere Zukunftsperspektive bieten, indem z. B. die deutsche Sprache innerhalb dieses Jahres erlernt werden kann. Für junge Menschen, die sich in fünf Jahren durch Schule o. Ä. oftmals schon in Deutschland integriert haben, kann dies vor allem mit Blick auf den Start ins berufliche Leben relevant sein.
- Zudem kann die Einführung eines Chancen-Aufenthaltsrechts dazu beitragen, dass familiäre Beziehungen bestehen bleiben, indem u. a. Ehegattinnen und Ehegatten und minderjährige, ledige Kinder einer nach § 104c Abs. 1 AufenthG begünstigten Person auch eine Bleibeperspektive bekommen können (§ 104c Abs. 2 S. 1 AufenthG). Dies kann dem Wohle der im Haushalt lebenden Kinder und Jugendlichen dienen.
- Letztlich könnten durch die Anhebung der Altersgrenze bei der Beantragung einer Aufenthaltserlaubnis von 21 auf 27 Jahre sowie das Herabsetzen der vorab notwendigen geduldeten, erlaubten oder gestatteten Aufenthaltsdauer von vier auf drei Jahre (§ 25a Abs. 1 S. 1 Nr. 1-3 AufenthG), künftig mehr Jugendliche und junge Erwachsene eine sicherere Bleibeperspektive in Deutschland bekommen.
Betroffene Gruppen junger Menschen
Normadressatinnen und – adressaten sind in der für den Jugend-Check relevanten Altersgruppe junge Menschen bis 27 Jahre, die sich am 1. Januar 2022 seit mindestens fünf Jahren ununterbrochen gestattet, geduldet oder mit einer Aufenthaltserlaubnis im Bundesgebiet aufgehalten haben. Betroffene sind in diesem Zusammenhang auch die in diesem Haushalt lebenden minderjährigen ledigen Kinder in der für den Jugend-Check relevanten Altersgruppe zwischen 12 und 17 Jahren.
Normadressatinnen und – adressaten sind ferner in der für den Jugend-Check relevanten Altersgruppe junge Menschen bis 27 Jahre, die sich als Ausländerinnen oder Ausländer seit drei Jahren ununterbrochen erlaubt, geduldet oder mit Aufenthaltsgestattung im Bundesgebiet aufhalten und i. d. R. seit drei Jahren erfolgreich eine Schule besucht oder einen anerkannten Schul- oder Berufsabschluss erworben haben. Betroffene sind zudem minderjährige ledige Kinder, die mit einer geduldeten Ausländerin bzw. geduldeten Ausländer in häuslicher Gemeinschaft leben, die bzw. der sich seit vier Jahren ununterbrochen geduldet, gestattet oder mit einer Aufenthaltserlaubnis im Bundesgebiet aufhält.
Zum 31.12.2021 lebten in Deutschland 241.255 Menschen mit einer Duldung. Vgl. Statistisches Bundesamt (Destatis), „Ausländische Bevölkerung nach aufenthaltsrechtlichem Status am 31.12.2021“, 14. April 2022, https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/Migration-Integration/Tabellen/auslaendische-bevoelkerung-aufenthaltsrechtlicherstatus.html (zuletzt aufgerufen am: 03.06.2022).
Jugendrelevante Auswirkungen
Einführung eines Chancen-Aufenthaltsrechts und Erleichterung des Bleiberechts
§§ 104c Abs. 1, Abs. 2 S. 1, 2, Abs. 3 S. 1, 25a Abs. 1 S. 1 Nr. 1-3, 25b Abs. 1 S. 2 Nr. 1 AufenthG
Geduldete Ausländerinnen und Ausländer, die sich am 1. Januar 2022 seit mindestens fünf Jahren ununterbrochen gestattet, geduldet oder mit einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen im Bundesgebiet aufgehalten haben, soll bei Vorliegen weiterer Voraussetzungen (z. B. keine Verurteilung wegen einer in Deutschland begangenen vorsätzlichen Straftat) künftig die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis als „Chancen-Aufenthaltserlaubnis“ ermöglicht werden. Diese soll für den Zeitraum eines Jahres gelten, innerhalb dessen die notwendigen Voraussetzungen für eine Aufenthaltserlaubnis – insbesondere Lebensunterhaltssicherung, Deutschkenntnisse und Identitätsnachweis – erworben werden können. Vgl. „Chancen-Aufenthaltsrechtsgesetz – ChAR-Gesetz“, 2. Werden die Voraussetzung für eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25b Aufenthaltsgesetz (AufenthG) innerhalb eines Jahres nicht erreicht, sollen die Betroffenen in den Status der Duldung Bei der Duldung handelt es sich um eine Aufschiebung der Abschiebung für regelmäßig drei Monate, vgl. § 60a Abs. 1 AufenthG. Sie kann über mehrere Jahre immer wieder verlängert werden, wenn die Abschiebung rechtlich oder tatsächlich nicht möglich ist, § 60a Abs. 2 AufenthG (Bsp.: Krankheit, Suizidabsicht, Passlosigkeit, unterbrochene Verkehrswege, Staatenlosigkeit). Im Gegensatz zur Aufenthaltserlaubnis handelt es sich nicht um einen Aufenthaltstitel. zurückfallen. Vgl. „Chancen-Aufenthaltsrechtsgesetz – ChAR-Gesetz“, 2.
Ehegattinnen und Ehegatten, Lebenspartnerinnen und Lebenspartnern sowie minderjährigen, ledigen Kindern, die mit einer nach § 104c Abs. 1 AufenthG begünstigten Person in häuslicher Gemeinschaft leben, soll eine Aufenthaltserlaubnis unter den gegebenen Voraussetzungen Gem. § 104c Abs. 2 AufenthG müssen die Voraussetzungen des Abs. 1, d.h. insbesondere Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung erfüllt werden. auch dann erteilt werden, wenn diese sich am 1. Januar 2022 noch nicht seit mindestens fünf Jahren ununterbrochen geduldet, gestattet oder mit einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen im Bundesgebiet aufgehalten haben, vgl. § 104c Abs. 2 S. 1 AufenthG. Für inzwischen volljährig gewordene Kinder gilt die Regelung entsprechend, wenn diese bei der Einreise noch minderjährig waren und sie weiterhin in häuslicher Gemeinschaft mit einer oder einem Begünstigten leben, vgl. § 104c Abs. 2 S. 2 AufenthG. Die Aufenthaltserlaubnis soll aber – auch für Mitglieder der Kernfamilie – grundsätzlich versagt werden, wenn die Ausländerin bzw. der Ausländer oder eine mit dieser bzw. diesem in häuslicher Gemeinschaft lebende Ehegattin bzw. Ehegatte, Lebenspartnerin bzw. Lebenspartner oder das minderjährige Kind vorsätzliche Straftaten begangen hat, vgl. § 104c Abs. 3 S. 1 AufenthG.
Das Chancen-Aufenthaltsrecht nach § 104c AufenthG tritt zwei Jahre nach Inkrafttreten außer Kraft, vgl. Art. 4 Abs. 2 ChAR-Gesetz.
Zudem soll eine Neuregelung des § 25a AufenthG erfolgen: Damit soll die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis bereits dann erfolgen, wenn sich eine jugendliche oder heranwachsende betroffene Person seit drei Jahren – anstatt wie bisher nach vier Jahren – ununterbrochen erlaubt, geduldet oder mit Aufenthaltsgestattung im Bundesgebiet aufhält, vgl. § 25a Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AufenthG, und in diesem Zeitraum erfolgreich eine Schule besucht oder einen anerkannten Schul- oder Berufsabschluss erworben hat, vgl. § 25a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AufenthG.
Geduldeten jungen Menschen soll es zudem unter bestimmten Voraussetzungen künftig möglich sein, einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres – statt wie bisher bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres – zu stellen, vgl. § 25a Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AufenthG.
Auch die erforderliche Voraufenthaltszeit für eine Aufenthaltserlaubnis im Hinblick auf Ausländerinnen und Ausländer, die mit einem minderjährigen Kind Dazu gehört jedes dem Haushalt angehörige minderjährige Kind. Also nicht nur das leibliche, das eheliche und das Adoptivkind, sondern auch das Stiefkind, das Pflegekind oder das Kind eines anderen Haushaltsangehörigen, vgl. Fränkel in NK-AuslR, 2. Aufl. 2016, AufenthG § 25b Rn. 8. in häuslicher Gemeinschaft leben und sich sozial integriert haben, soll verkürzt werden. Ihnen soll eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn sie sich seit mindestens vier Jahren – statt wie bisher sechs Jahren – ununterbrochen geduldet, gestattet oder mit einer Aufenthaltserlaubnis im Bundesgebiet aufgehalten haben, vgl. § 25b Abs. 1 S. 2 Nr. 1 AufenthG.
Insbesondere jungen Menschen, die derzeit in Deutschland mit dem Status der Duldung leben, kann das Chancen-Aufenthaltsrecht eine Zukunftsperspektive geben. Jugendliche befinden sich in einer Phase, in der soziale Kompetenzen und Bildungsqualifikationen erworben werden sollen, um ökonomisch unabhängig zu werden. Vgl. Martina Gille, „Vom Wandel der Jugend“, DJI Impulse 3 (2012): 4. Für sie kann daher die permanente Unsicherheit durch Kettenduldungen eine Belastung darstellen, die sie in der Erreichung ihrer Ausbildungsziele behindern kann, denn eine fehlende Bleibesicherheit kann sich „negativ auf die kognitive Entwicklung und Bildungsanstrengungen von Kindern“ Janina Söhn und Kai Marquardsen, „Erfolgsfaktoren für die Integration von Flüchtlingen“, hg. von Soziologisches Forschungsinstitut Göttingen (SOFI), Forschungsbericht 484, 2017, 26. auswirken. Somit könnte sich eine sicherere Aufenthaltsperspektive förderlich auf das Erreichen von Bildungszielen auswirken.
Das Erlangen von Deutschkenntnissen und die Bereitstellung der hierfür notwendigen Kapazitäten ist Grundvoraussetzung für eine gelingende Integration in Deutschland – insbesondere auch für die Eingliederung in den deutschen Arbeitsmarkt. Vgl. Wido Geis-Thöne, „Sprachkenntnisse entscheidend für die Arbeitsmarktintegration“, hg. von Institut der deutschen Wirtschaft Köln Medien GmbH, Vierteljahresschrift zur empirischen Wirtschaftsforschung, IW-Trends 3/2019, 46, Nr. 3 (2019). In diesem Zusammenhang könnte der Erhalt des Chancen-Aufenthaltsrechts auch eine Motivation für junge Menschen sein, die fehlenden Voraussetzungen für einen Aufenthaltstitel zu erwerben, wenn die Aussicht auf einen gesicherteren Aufenthalt im Anschluss gegeben ist. Jedoch bedarf es hierfür auch der entsprechenden Bereitstellung von Sprachlernmöglichkeiten. Fachkräfte begründen eine Schwierigkeit in ihrer Arbeit mit begleiteten Kindern und Jugendlichen mit mangelnden Möglichkeiten des Spracherwerbs und kritisieren auch mangelnde Deutschkursoptionen für Eltern mit Duldung. Vgl. Johanna Karpenstein und Daniela Rohleder, „Die Situation geflüchteter Menschen in Deutschland“ (Berlin: Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge e.V., 2021), 88.
Fünf Jahre sind im Leben einer bzw. eines Jugendlichen eine lange Zeit, sodass davon ausgegangen werden kann, dass viele junge Menschen durch ihre Einbettung in Schule und Ausbildung bereits kulturell und sozial in Deutschland integriert sind, Vgl. Lisa Pagel u. a., „In der Schule angekommen? Zur Schulsituation geflüchteter Kinder und Jugendlicher“, Aus Politik und Zeitgeschehen, 2020, https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/schule-2020/322690/in-der-schule-angekommen/ (zuletzt aufgerufen am: 03.06.2022). sodass eine sichere Bleibeperspektive für sie auch eine bedeutende soziale und kulturelle Kontinuität darstellen würde.
Das Chancen-Aufenthaltsrecht kann ferner dazu beitragen, dass einzelne im Haushalt mit einer nach § 104c Abs. 1 AufenthG berechtigten Person lebende Familienmitglieder und insbesondere minderjährige, ledige Kinder nicht ausreisepflichtig werden, da diese auch die Möglichkeit des Erhalts eines einjährigen Aufenthaltstitels haben, selbst wenn sie sich zum Stichtag am 1.1.2022 noch nicht fünf Jahre ununterbrochen gestattet, geduldet oder mit einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen im Bundesgebiet aufgehalten haben. Somit kann ein „Auseinanderreißen der Familie“ „Chancen-Aufenthaltsrechtsgesetz – ChAR-Gesetz“, 19. verhindert werden. Familiäres Zusammenleben und Unterstützung kann insbesondere für heranwachsende junge Menschen eine wichtige emotionale Stütze und Orientierung sein. Vgl. Claudia Lechner und Anna Huber, „Ankommen nach der Flucht. Die Sicht begleiteter und unbegleiteter junger Geflüchteter auf ihre Lebenslagen in Deutschland“ (München: Deutsches Jugendinstitut e.V., 2017), 68. Das Zusammenleben mit der Familie hat für die Geflüchteten eine „besonders integrative und persönlichkeitsstabilisierende Funktion“, da die soziale Unterstützung durch die Familie die gesellschaftliche Teilhabe des Einzelnen sowie die Identifikation mit dem Aufnahmeland stärken kann. Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration, „Unter Einwanderungsländern: Deutschland im internationalen Vergleich. Jahresgutachten 2015“, 2015, 21.
Da jedoch nur eine spezifische Gruppe von dieser befristeten Möglichkeit Gebrauch machen kann, ist für junge Menschen, die nicht bereits am 1. Januar 2022 seit fünf Jahren in Deutschland und in einem Haushalt mit einem Berechtigten leben oder nicht ledig sind, dieser Zugewinn an Zukunftsperspektive und Familienzusammenhalt nicht gegeben.
Die Neuregelung des § 25a AufenthG soll zudem eine Erleichterung des Bleiberechts für gut integrierte Jugendliche und Heranwachsende bewirken: Zum einen können durch die Anhebung der Altersgrenze bei der Beantragung einer Aufenthaltserlaubnis von 21 auf 27 Jahre mehr junge Menschen einen Aufenthaltstitel beantragen. Zum anderen kann dies durch das Herabsetzen der vorab notwendigen geduldeten, erlaubten oder gestatteten Aufenthaltsdauer von vier auf drei Jahre auch zeitnaher passieren. Auch hier kann sich die Verkürzung der Voraufenthaltszeit bis zum Erhalt eines Aufenthaltstitels förderlich auf die Zukunftsperspektiven und die Verwirklichung der eigenen Ziele der betroffenen jungen Menschen auswirken. Neben dem Absolvieren der Ausbildung gewinnt in diesem Alter auch das Thema Familienplanung an Relevanz: So haben zwei bis drei Jahre nach ihrer Ankunft „insbesondere junge geflüchtete Frauen bereits Familien gegründet oder diese erweitert“. Wenke Niehues, „Zu Lebenssituationen von jungen Erwachsenen mit Fluchterfahrung“, BAMF-Kurzanalyse (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Forschungszentrum Migration, Integration und Asy, 2021), 7, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Forschung/Kurzanalysen/kurzanalyse1-2021-iab-bamf-soep-befragung-junge-erwachsene.pdf?__blob=publicationFile&v=8 (zuletzt aufgerufen am: 03.06.2022).
Generell können sich durch eine Aufenthaltserlaubnis die Möglichkeiten der Integration verbessern. Die Betroffenen können aufgrund der damit verbundenen Rechtssicherheit – im Gegensatz zu einer lediglichen Duldung oder Gestattung mit jederzeitiger Rückführungsmöglichkeit bzw. Ausreisepflicht nach Abschluss des Asylverfahrens – ihren Aufenthalt verfestigen.
Auch für Minderjährige, deren Bezugspersonen aufgrund der Wohngemeinschaft mit ihnen schon früher eine sicherere Bleibeperspektive bekommen können, kann sich die Änderung des § 25b AufenthG förderlich auf das Wohlbefinden Vgl. Ludovica Gambaro u. a., „Lebenszufriedenheit von Geflüchteten in Deutschland ist deutlich geringer, wenn ihre Kinder im Ausland leben“, DIW Wochenbericht 85, Nr. 42 (2018): 906. auswirken: Zum einen, weil nahestehende Bezugspersonen erhalten bleiben können, zum anderen, weil sie selbst dadurch eine längerfristige Bleibeperspektive erhalten.
Anmerkungen und Hinweise
Es bleibt anzumerken, dass es sich bei dem Chancen-Aufenthaltsrecht nach § 104c AufenthG um eine Stichtags- sowie um eine Übergangsregelung handelt. Junge Menschen, die sich am 1.1.2022 noch nicht für fünf Jahre in Deutschland aufgehalten haben, bleiben von der Anwendung ausgenommen. Etwas anderes gilt nur für Ehegattinnen und Ehegatten, Lebenspartnerinnen bzw. Lebenspartner und minderjährige, ledige Kinder, die mit einer Person, die unter die Stichtagsregelung fällt, in einer häuslichen Gemeinschaft leben und die Voraussetzungen des § 104c Abs. 1 Nr. 1 bis 3 AufenthG erfüllen.
Hinsichtlich des befristeten Charakters des Chancen-Aufenthaltsrechts nach § 104c AufenthG, welcher zwei Jahre nach Inkrafttreten außer Kraft tritt, stellt sich die Frage, warum insbesondere für jüngere Menschen, die noch nicht die fünf Jahre Aufenthalt am 1.1.2022 nachweisen können und auch keine begünstigten Bezugspersonen haben, die Möglichkeit dieses einjährigen Aufenthaltsrechts nicht später – wenn die fünf Jahre für sie um sind – bestehen kann und mithin für diese Menschen keine Ausnahme von der Stichtagsregelung vorgesehen ist.
Quellen
Ziel des Gesetzentwurfs
Mit dem Gesetz zur Einführung eines Chancen-Aufenthaltsrechts wird das Ziel verfolgt, geduldeten Ausländerinnen und Ausländern, die am 1.1.2022 seit fünf Jahren ununterbrochen gestattet, geduldet oder mit einer Aufenthaltserlaubnis im Bundesgebiet leben, die Möglichkeit zu eröffnen, die fehlenden Voraussetzungen für einen dauerhaften Aufenthalt nachzuholen. Vgl. „Entwurf eines Gesetzes zur Einführung eines Chancen-Aufenthaltsrechts“, 6. Juli 2022, 14. Zudem soll die Aufenthaltsgewährung von Menschen, die sich wirtschaftlich und sozial in Deutschland integriert haben sowie von Jugendlichen und jungen Volljährigen, die noch nicht die Voraussetzungen für eine Aufenthaltserlaubnis erfüllen, erleichtert werden. Vgl. „Entwurf eines Gesetzes zur Einführung eines Chancen-Aufenthaltsrechts“, 14.
Zusammenfassung möglicher Auswirkungen
Das Kompetenzzentrum Jugend-Check hat folgende mögliche Auswirkungen identifiziert:
- Künftig soll geduldeten Ausländerinnen und Ausländern, die sich am 1. Januar 2022 seit fünf Jahren ununterbrochen geduldet, gestattet oder mit einer Aufenthaltserlaubnis in Deutschland aufhalten, unter bestimmten Voraussetzungen für die Dauer eines Jahres eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden (§ 104c Abs. 1, Abs. 3 S. 3 AufenthG). Diese Zeit soll ihnen ermöglichen, die Voraussetzungen für eine gesichertere Zukunftsperspektive (z.B. Deutschkenntnisse) zu erfüllen. Für junge Menschen, die sich innerhalb der fünf Jahre z.B. durch die Schule in Deutschland integriert haben, kann das im Hinblick auf den Start ins berufliche Leben relevant sein, weil ihnen eine Bleibeperspektive eröffnet wird.
- Zudem könnten familiäre Beziehungen bestehen bleiben, indem u. a. minderjährige, ledige Kinder, die mit einer nach § 104c Abs. 1 AufenthG begünstigten Person in häuslicher Gemeinschaft leben, auch eine Bleibeperspektive bekommen können (§ 104c Abs. 2 S. 1 AufenthG). Dies kann dem Wohle der im Haushalt lebenden jungen Menschen dienen, weil familiäres Zusammenleben für sie eine wichtige emotionale Stütze und Orientierung sein kann.
- Jedoch wird z.B. jungen Menschen, die nicht bereits am 1. Januar 2022 seit fünf Jahren in Deutschland sind oder in häuslicher Gemeinschaft mit einer bzw. einem Berechtigten leben, dieser Zugewinn an Zukunftsperspektive und Familienzusammenhalt nicht gegeben.
- Letztlich könnten durch die Anhebung der Altersgrenze bei der Beantragung einer Aufenthaltserlaubnis von 21 auf 27 Jahre sowie das Herabsetzen der vorab notwendigen geduldeten, erlaubten oder gestatteten Aufenthaltsdauer von vier auf drei Jahre (§ 25a Abs. 1 S. 1 Nr. 1-3 AufenthG), künftig mehr Jugendliche und junge Volljährige eine sicherere Bleibeperspektive in Deutschland bekommen.
Betroffene Gruppen junger Menschen
Normadressatinnen und -adressaten sind in der für den Jugend-Check relevanten Altersgruppe junge Menschen bis 27 Jahre, die sich am 1. Januar 2022 seit fünf Jahren ununterbrochen gestattet, geduldet oder mit einer Aufenthaltserlaubnis im Bundesgebiet aufgehalten haben. Betroffene sind in diesem Zusammenhang auch die in diesem Haushalt lebenden minderjährigen ledigen Kinder in der für den Jugend-Check relevanten Altersgruppe zwischen 12 und 17 Jahren.
Normadressatinnen und -adressaten sind ferner in der für den Jugend-Check relevanten Altersgruppe junge Ausländerinnen und Ausländer bis 27 Jahre, die geduldet oder Inhaberinnen bzw. Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104c AufenthG sind und seit drei Jahren ununterbrochen erlaubt, geduldet oder mit Aufenthaltsgestattung im Bundesgebiet aufhalten und im Bundesgebiet i. d. R. seit drei Jahren erfolgreich eine Schule besuchen oder einen anerkannten Schul- oder Berufsabschluss erworben haben. Betroffene sind zudem minderjährige ledige Kinder, die mit einer geduldeten Ausländerin bzw. einem geduldeten Ausländer in häuslicher Gemeinschaft leben, die bzw. der sich seit vier Jahren ununterbrochen geduldet, gestattet oder mit einer Aufenthaltserlaubnis im Bundesgebiet aufhält.
Zum 31.12.2021 lebten in Deutschland 241.255 Menschen mit einer Duldung. Vgl. Statistisches Bundesamt (Destatis), „Ausländische Bevölkerung nach aufenthaltsrechtlichem Status am 31.12.2021“, 14. April 2022, https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/Migration-Integration/Tabellen/auslaendische-bevoelkerung-aufenthaltsrechtlicherstatus.html (zuletzt aufgerufen am: 03.06.2022).
Jugendrelevante Auswirkungen
Einführung eines Chancen-Aufenthaltsrechts und Erleichterung des Bleiberechts
§ 104c Abs. 1, Abs. 2 S. 1, 2, Abs. 3 S. 3, Abs. 4 AufenthG, § 25a Abs. 1 S. 1 Nr. 1-3 AufenthG, § 25b Abs. 1 S. 2 Nr. 1 AufenthG
Geduldeten Ausländerinnen und Ausländern, die sich am 1. Januar 2022 seit fünf Jahren ununterbrochen gestattet, geduldet oder mit einer Aufenthaltserlaubnis im Bundesgebiet aufgehalten haben, soll bei Vorliegen weiterer Voraussetzungen (z. B. Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland) künftig die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis als „Chancen-Aufenthaltsrecht“ ermöglicht werden. Diese soll für den Zeitraum eines Jahres gelten, vgl. § 104c Abs. 3 S. 3 AufenthG. Innerhalb dieses Jahres sollen die notwendigen Voraussetzungen für eine Aufenthaltserlaubnis – insbesondere Lebensunterhaltssicherung, Deutschkenntnisse und Identitätsnachweis – erworben werden können. Vgl. „Entwurf eines Gesetzes zur Einführung eines Chancen-Aufenthaltsrechts“, 2. Werden die Voraussetzung für eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a oder § 25b Aufenthaltsgesetz (AufenthG) innerhalb eines Jahres nicht erreicht, sollen die Betroffenen in den Status der Duldung Bei der Duldung handelt es sich um eine Aufschiebung der Abschiebung für regelmäßig drei Monate, vgl. § 60a Abs. 1 AufenthG. Sie kann über mehrere Jahre immer wieder verlängert werden, wenn die Abschiebung rechtlich oder tatsächlich nicht möglich ist, § 60a Abs. 2 AufenthG (Bsp.: Krankheit, Suizidabsicht, Passlosigkeit, unterbrochene Verkehrswege, Staatenlosigkeit). Im Gegensatz zur Aufenthaltserlaubnis handelt es sich nicht um einen Aufenthaltstitel. zurückfallen. Vgl. „Entwurf eines Gesetzes zur Einführung eines Chancen-Aufenthaltsrechts“, 2.
Ehegattinnen und Ehegatten, Lebenspartnerinnen und Lebenspartnern sowie minderjährigen, ledigen Kindern, die mit einer nach § 104c Abs. 1 AufenthG begünstigten Person in häuslicher Gemeinschaft leben, soll eine Aufenthaltserlaubnis unter den gegebenen Voraussetzungen Gem. § 104c Abs. 2 AufenthG müssen die Voraussetzungen des Abs. 1, d.h. insbesondere Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung erfüllt werden. Daneben darf die Ausländerin bzw. der Ausländer nicht wegen einer in Deutschland begangenen vorsätzlichen Straftat verurteilt worden sein, wobei § 104c Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AufenthG gewisse Ausnahmen vorsieht. So sollen z.B. Verurteilungen nach dem Jugendstrafrecht, die nicht auf Jugendstrafe lauten, grundsätzlich außer Betracht bleiben. auch dann erteilt werden, wenn diese sich am 1. Januar 2022 noch nicht seit fünf Jahren ununterbrochen geduldet, gestattet oder mit einer Aufenthaltserlaubnis im Bundesgebiet aufgehalten haben, vgl. § 104c Abs. 2 S. 1 AufenthG. Für inzwischen volljährig gewordene Kinder gilt die Regelung entsprechend, wenn diese bei der Einreise in das Bundesgebiet noch minderjährig waren und sie weiterhin in häuslicher Gemeinschaft mit einer oder einem Begünstigten leben, vgl. § 104c Abs. 2 S. 2 AufenthG.
Die Ausländerbehörde soll verpflichtet werden, die Ausländerin bzw. den Ausländer spätestens bei der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 104c AufenthG auf die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG und, falls sie bzw. er das 27. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, nach § 25a AufenthG hinzuweisen, vgl. § 104c Abs. 4 S. 1 AufenthG. Dies soll z.B. durch ein verständliches Merkblatt geschehen. Vgl. „Entwurf eines Gesetzes zur Einführung eines Chancen-Aufenthaltsrechts“, 50. Außerdem soll die Ausländerbehörde auch konkrete Handlungspflichten, die in zumutbarer Weise zu erfüllen sind, benennen, vgl. § 104c Abs. 4 S. 2 AufenthG.
Das Chancen-Aufenthaltsrecht nach § 104c AufenthG soll drei Jahre nach Inkrafttreten außer Kraft treten, vgl. Art. 8 Abs. 2 i.V.m. Art. 5 Nr. 4 des Gesetzes zur Einführung eines Chancen-Aufenthaltsrechts.
Zudem soll eine Neuregelung des § 25a AufenthG erfolgen: Damit soll die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis bereits dann erfolgen, wenn sich eine jugendliche oder junge volljährige Ausländerin bzw. ein jugendlicher oder junger volljähriger Ausländer, die bzw. der geduldet oder in Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104c AufenthG ist, seit drei Jahren – anstatt wie bisher nach vier Jahren – ununterbrochen erlaubt, geduldet oder mit Aufenthaltsgestattung im Bundesgebiet aufhält, vgl. § 25a Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AufenthG, und in diesem Zeitraum im Bundesgebiet erfolgreich eine Schule besucht oder einen anerkannten Schul- oder Berufsabschluss erworben hat, vgl. § 25a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AufenthG.
Geduldeten jungen Ausländerinnen und Ausländern sowie solchen in Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104c AufenthG soll es zudem unter bestimmten Voraussetzungen künftig möglich sein, einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres – statt wie bisher bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres – zu stellen, vgl. § 25a Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AufenthG.
Auch die erforderliche Voraufenthaltszeit für eine Aufenthaltserlaubnis im Hinblick auf Ausländerinnen und Ausländer, die geduldet oder in Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104c AufenthG sind und mit einem minderjährigen Kind Dazu gehört jedes dem Haushalt angehörige minderjährige Kind. Also nicht nur das leibliche, das eheliche und das Adoptivkind, sondern auch das Stiefkind, das Pflegekind oder das Kind eines anderen Haushaltsangehörigen, vgl. Fränkel in NK-AuslR, 2. Aufl. 2016, AufenthG § 25b Rn. 8. in häuslicher Gemeinschaft leben und sich sozial integriert haben, soll verkürzt werden. Ihnen soll eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn sie sich seit mindestens vier Jahren – statt wie bisher sechs Jahren – ununterbrochen geduldet, gestattet oder mit einer Aufenthaltserlaubnis im Bundesgebiet aufgehalten haben, vgl. § 25b Abs. 1 S. 2 Nr. 1 AufenthG.
Insbesondere jungen Menschen, die derzeit in Deutschland mit dem Status der Duldung leben, kann das Chancen-Aufenthaltsrecht eine Zukunftsperspektive geben. Jugendliche befinden sich in einer Phase, in der soziale Kompetenzen und Bildungsqualifikationen erworben werden sollen, um ökonomisch unabhängig zu werden. Vgl. Martina Gille, „Vom Wandel der Jugend“, DJI Impulse 3 (2012): 4. Für sie kann daher die permanente Unsicherheit durch Kettenduldungen eine Belastung darstellen, die sie in der Erreichung ihrer Ausbildungsziele behindern kann, denn eine fehlende Bleibesicherheit kann sich „negativ auf die kognitive Entwicklung und Bildungsanstrengungen von Kindern“ Janina Söhn und Kai Marquardsen, „Erfolgsfaktoren für die Integration von Flüchtlingen“, hg. von Soziologisches Forschungsinstitut Göttingen (SOFI), Forschungsbericht 484, 2017, 26. auswirken. Somit könnte sich eine sicherere Aufenthaltsperspektive förderlich auf das Erreichen von Bildungszielen auswirken.
Das Erlangen von Deutschkenntnissen und die Bereitstellung der hierfür notwendigen Kapazitäten ist Grundvoraussetzung für eine gelingende Integration in Deutschland – insbesondere auch für die Eingliederung in den deutschen Arbeitsmarkt. Vgl. Wido Geis-Thöne, „Sprachkenntnisse entscheidend für die Arbeitsmarktintegration“, hg. von Institut der deutschen Wirtschaft Köln Medien GmbH, Vierteljahresschrift zur empirischen Wirtschaftsforschung, IW-Trends 3/2019, 46, Nr. 3 (2019). In diesem Zusammenhang könnte der Erhalt des Chancen-Aufenthaltsrechts auch eine Motivation für junge Menschen sein, die fehlenden Voraussetzungen für einen Aufenthaltstitel zu erwerben, wenn die Aussicht auf einen gesicherteren Aufenthalt im Anschluss gegeben ist. Jedoch bedarf es hierfür auch der entsprechenden Bereitstellung von Sprachlernmöglichkeiten. Fachkräfte begründen eine Schwierigkeit in ihrer Arbeit mit begleiteten Kindern und Jugendlichen mit mangelnden Möglichkeiten des Spracherwerbs und kritisieren auch mangelnde Deutschkursoptionen für Eltern mit Duldung. Vgl. Johanna Karpenstein und Daniela Rohleder, „Die Situation geflüchteter Menschen in Deutschland“ (Berlin: Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge e.V., 2021), 88.
Fünf Jahre sind im Leben einer bzw. eines Jugendlichen eine lange Zeit, sodass davon ausgegangen werden kann, dass viele junge Menschen durch ihre Einbettung in Schule und Ausbildung bereits kulturell und sozial in Deutschland integriert sind, Vgl. Lisa Pagel u. a., „In der Schule angekommen? Zur Schulsituation geflüchteter Kinder und Jugendlicher“, Aus Politik und Zeitgeschehen, 2020, https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/schule-2020/322690/in-der-schule-angekommen/ (zuletzt aufgerufen am: 03.06.2022). sodass eine sichere Bleibeperspektive für sie auch eine bedeutende soziale und kulturelle Kontinuität darstellen würde.
Das Chancen-Aufenthaltsrecht kann ferner dazu beitragen, dass einzelne im Haushalt mit einer nach § 104c Abs. 1 AufenthG berechtigten Person lebende Familienmitglieder und insbesondere minderjährige, ledige Kinder nicht ausreisepflichtig werden, da diese auch die Möglichkeit des Erhalts eines einjährigen Aufenthaltstitels haben, selbst wenn sie sich zum Stichtag am 1.1.2022 noch nicht fünf Jahre ununterbrochen gestattet, geduldet oder mit einer Aufenthaltserlaubnis im Bundesgebiet aufgehalten haben. Somit kann ein „Auseinanderreißen der Familie“ „Entwurf eines Gesetzes zur Einführung eines Chancen-Aufenthaltsrechts“, 49. verhindert werden. Familiäres Zusammenleben und Unterstützung kann insbesondere für heranwachsende junge Menschen eine wichtige emotionale Stütze und Orientierung sein. Vgl. Claudia Lechner und Anna Huber, „Ankommen nach der Flucht. Die Sicht begleiteter und unbegleiteter junger Geflüchteter auf ihre Lebenslagen in Deutschland“ (München: Deutsches Jugendinstitut e.V., 2017), 68. Das Zusammenleben mit der Familie hat für die Geflüchteten eine „besonders integrative und persönlichkeitsstabilisierende Funktion“, da die soziale Unterstützung durch die Familie die gesellschaftliche Teilhabe des Einzelnen sowie die Identifikation mit dem Aufnahmeland stärken kann. Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration, „Unter Einwanderungsländern: Deutschland im internationalen Vergleich. Jahresgutachten 2015“, 2015, 21.
Die Hinweispflicht seitens der Ausländerbehörde bezüglich der weiteren Bleibemöglichkeiten und deren Vorrausetzungen bei Erhalt des Chancen-Aufenthaltsrechts können für die Begünstigten eine wichtige Informationsgrundlage schaffen, da sie genaue Angaben darüber erhalten, was sie innerhalb eines Jahres vorweisen müssen. Unter 27-Jährige könnten hiermit auf die Perspektiven und Vorrausetzungen eines Aufenthalts nach § 25a AufenthG aufmerksam gemacht werden und so ggf. motiviert werden, diesen rechtssichereren Aufenthaltsstatus zu erlangen. Vgl. „Entwurf eines Gesetzes zur Einführung eines Chancen-Aufenthaltsrechts“, 50.
Jedoch wird z.B. jungen Menschen, die nicht bereits am 1. Januar 2022 seit fünf Jahren in Deutschland sind oder in häuslicher Gemeinschaft mit einer bzw. einem Berechtigten leben, dieser Zugewinn an Zukunftsperspektive und Familienzusammenhalt nicht gegeben.
Die Neuregelung des § 25a AufenthG soll zudem eine Erleichterung des Bleiberechts für gut integrierte Jugendliche und junge Volljährige bewirken: Zum einen können durch die Anhebung der Altersgrenze bei der Beantragung einer Aufenthaltserlaubnis von 21 auf 27 Jahre mehr junge Menschen einen Aufenthaltstitel beantragen. Zum anderen kann dies durch das Herabsetzen der vorab notwendigen geduldeten, erlaubten oder gestatteten Aufenthaltsdauer von vier auf drei Jahre auch zeitnaher passieren. Auch hier kann sich die Verkürzung der Voraufenthaltszeit bis zum Erhalt eines Aufenthaltstitels förderlich auf die Zukunftsperspektiven und die Verwirklichung der eigenen Ziele der betroffenen jungen Menschen auswirken. Neben dem Absolvieren der Ausbildung gewinnt in diesem Alter auch das Thema Familienplanung an Relevanz: So haben zwei bis drei Jahre nach ihrer Ankunft „insbesondere junge geflüchtete Frauen bereits Familien gegründet oder diese erweitert“. Wenke Niehues, „Zu Lebenssituationen von jungen Erwachsenen mit Fluchterfahrung“, BAMF-Kurzanalyse (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Forschungszentrum Migration, Integration und Asy, 2021), 7, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Forschung/Kurzanalysen/kurzanalyse1-2021-iab-bamf-soep-befragung-junge-erwachsene.pdf?__blob=publicationFile&v=8 (zuletzt aufgerufen am: 03.06.2022).
Generell können sich durch eine Aufenthaltserlaubnis die Möglichkeiten der Integration verbessern. Die Betroffenen können aufgrund der damit verbundenen Rechtssicherheit – im Gegensatz zu einer lediglichen Duldung oder Gestattung mit jederzeitiger Rückführungsmöglichkeit bzw. Ausreisepflicht nach Abschluss des Asylverfahrens – ihren Aufenthalt verfestigen.
Auch für Minderjährige, deren Bezugspersonen aufgrund der Wohngemeinschaft mit ihnen schon früher eine sicherere Bleibeperspektive bekommen können, kann sich die Änderung des § 25b AufenthG förderlich auf das Wohlbefinden Vgl. Ludovica Gambaro u. a., „Lebenszufriedenheit von Geflüchteten in Deutschland ist deutlich geringer, wenn ihre Kinder im Ausland leben“, DIW Wochenbericht 85, Nr. 42 (2018): 906. auswirken: Zum einen, weil nahestehende Bezugspersonen erhalten bleiben können, zum anderen, weil sie selbst dadurch eine längerfristige Bleibeperspektive erhalten.
Anmerkungen und Hinweise
Es bleibt anzumerken, dass es sich bei dem Chancen-Aufenthaltsrecht nach § 104c AufenthG um eine Stichtags- sowie um eine Übergangsregelung handelt. Junge Menschen, die sich am 1.1.2022 noch nicht für fünf Jahre in Deutschland aufgehalten haben, bleiben von der Anwendung ausgenommen. Etwas anderes gilt nur für Ehegattinnen und Ehegatten, Lebenspartnerinnen bzw. Lebenspartner und minderjährige, ledige Kinder, die mit einer Person, die unter die Stichtagsregelung fällt, in einer häuslichen Gemeinschaft leben und die Voraussetzungen des § 104c Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und 2 AufenthG erfüllen.
Anzumerken ist auch, dass § 104c AufenthG als Sollvorschrift keinen Rechtsanspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vermittelt und mithin den Behörden einen Spielraum für atypische Fälle eröffnet. Insbesondere sehr junge Menschen mit wenig Erfahrung in der Auseinandersetzung mit Behörden könnte es in einer solchen Vorsprachesituation schwer fallen, für ihre Interessen zu argumentieren.
Anzumerken bleibt ferner, dass § 104c Abs. 2 S. 1 AufenthG für eine Aufenthaltserlaubnis eine „häusliche Gemeinschaft“ des minderjährigen ledigen Kindes mit dem bzw. der Begünstigten voraussetzt. Es sind jedoch Fälle denkbar, in denen Kinder nicht mit ihren nach § 104c Abs. 1 AufenthG berechtigten Eltern in einer häuslichen Gemeinschaft leben können, jedoch in einer tatsächlichen familiären Gemeinschaft leben und füreinander da sind. Dies könnte z.B. eintreten, wenn Familienmitglieder aufgrund von Wohnsitzauflagen an verschiedenen Orten leben müssen oder wenn Elternteile getrennt voneinander leben. Würde statt der „häuslichen Gemeinschaft“ bereits eine „familiäre Gemeinschaft“ ausreichen – wie dies auch § 25b Abs. 4 AufenthG der Fall ist -, könnten auch diese Fälle Berücksichtigung finden. Vgl. Der Paritätische Gesamtverband, „Stellungnahme des Paritätischen Gesamtverbandes zum Entwurf eines Gesetzes zur Einführung eines Chancen-Aufenthaltsrechts (Chancen- Aufenthaltsrechtsgesetz, Referentenentwurf des Bundesministeriums des Innern und für Heimat vom 27. Mai 2022)“ (Berlin, 17. Juni 2022), 14, https://www.der-paritaetische.de/fileadmin/user_upload/Stellungnahmeentwurf_ChancenaufenthGE_Parit%C3%A4t-17.6.22.pdf (zuletzt aufgerufen am: 12.07.2022) .
Im Übrigen können gut integrierte Kinder unter 14 Jahren weiterhin keine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Abs. 1 AufenthG beantragen, da diese nur an gut integrierte Jugendliche und junge Volljährige erteilt wird.
Unklar bleibt zudem die Frage, ob – vor allem mit Blick auf die für die Antragstellung gestiegene Altersgrenze auf 27 Jahre – neben dem Schulbesuch bzw. dem im Bundesgebiet erworbenen Schul-/Berufsabschluss auch andere Integrationsleistungen für den Erhalt einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Abs. 1 AufenthG anerkannt werden könnten. Dies könnte für junge Menschen im Anschluss an die im Heimatland absolvierte Schulbildung wichtig sein, die sich in Deutschland z.B. durch einen Bundesfreiwilligendienst oder ein Praktikum integrieren möchten. Vgl. Der Paritätische Gesamtverband, 3 (zuletzt aufgerufen am: 12.07.2022).