Ziel des Gesetzesentwurfs
Mit dem Kinder- und Jugendhilfeinklusionsgesetz (IKJHG) soll die dritte Stufe zur sogenannten „Inklusiven Lösung“ vollzogen werden, die die vorrangige Zuständigkeit des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe für Kinder und Jugendliche mit und ohne (drohende) Behinderungen vorsieht.Vgl. „Entwurf eines Gesetzes zur Ausgestaltung der Inklusiven Kinder- und Jugendhilfe (Kinder- und Jugendhilfeinklusionsgesetz – IKJHG)“, 16. September 2024, 37. Das IKJHG dient damit der konkreten Umsetzung des 2021 in Kraft getretenen Kinder- und Jugendstärkungsgesetzes (KJSG) und schafft die notwendigen bundesrechtlichen Voraussetzungen für die inklusive Ausrichtung der Kinder- und Jugendhilfe. Hierfür sollen durch das Gesetz die Hilfe zur Erziehung und die Leistungen der Eingliederungshilfe für Kinder und Jugendliche zu Leistungen zur Entwicklung, zur Erziehung und zur Teilhabe zusammengeführt werden.Vgl. „Kinder- und Jugendhilfeinklusionsgesetz – IKJHG“, 38. Das Gesetz soll zum 01.01.2028 in Kraft treten, vgl. Art. 8 Abs. 1 IKJHG.
Zusammenfassung möglicher Auswirkungen
Das Kompetenzzentrum Jugend-Check hat folgende mögliche Auswirkungen identifiziert:
- Mit dem IKJHG soll ein gemeinsamer Leistungstatbestand im SGB VIII aufgenommen werden, der die Hilfen zur Erziehung sowie die Leistungen der Eingliederungshilfe für Kinder und Jugendliche mit (drohender) Behinderung unabhängig von der Art der Behinderung umfasst (§ 27 Abs. 1 SGB VIII). Dadurch können junge Menschen mit und ohne eine (drohende) Behinderung in ihrem Recht auf Entwicklung und Erziehung unterstützt werden.
- Innerhalb des einheitlichen Leistungstatbestandes sollen zwei voneinander unabhängige Anspruchsgrundlagen für die Hilfen zur Erziehung und die Leistungen der Eingliederungshilfe bestehen (§§ 27 Abs. 2 und Abs. 3, 27a, 35a SGB VIII). Durch die Gesamtzuständigkeit des örtlichen Trägers der öffentlichen Jugendhilfe könnten Jugendliche und junge Erwachsene mit (drohenden) Behinderungen einen verbesserten Zugang zu bedarfsgerechten Unterstützungsleistungen erhalten, da bislang in der Praxis Probleme in der Zuordnung zwischen den Leistungssystemen der Eingliederungshilfe und der Jugendhilfe bestehen.
- Durch den einheitlichen Leistungstatbestand können Jugendliche und junge Erwachsene Hilfen zur Erziehung sowie Leistungen der Eingliederungshilfe unabhängig voneinander, jedoch auch gleichzeitig beziehen. Dadurch können sie Hilfen und Leistungen erhalten, die ihren individuellen Bedarfen entsprechen, da die Bedarfe zukünftig einheitlich betrachtet werden und so zielgenauer bedarfsgerechte Hilfen erbracht werden können.
- Die Verfahrenslotsen sollen verstetigt und ihre Beratungsfunktion insgesamt auf die Leistungen zur Teilhabe i. S. d. § 4 SGB IX erweitert werden (§ 10b Abs. 1 und Abs. 2 SGB VIII). Dadurch können junge Menschen und ihre Personensorgeberechtigten auch in Zukunft eine wichtige Unterstützung im Zugang zu und in der Inanspruchnahme von Leistungen erhalten.
Betroffene Gruppen junger Menschen
Normadressatinnen und Normadressaten sind in der für den Jugend-Check relevanten Altersgruppe junge Menschen ab 12 Jahren bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres, die Leistungen der Hilfe zur Erziehung nach § 27 Achtes Sozialgesetzbuch (SGB VIII, geltendes Recht) oder Leistungen der Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII (geltendes Recht) für Kinder und Jugendliche mit (drohender) seelischer Behinderung erhalten. Es können auch junge Menschen ab 21 Jahren bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres betroffen sein, sofern für sie Hilfen nach § 41 Abs. 1 SGB VIII (geltendes Recht) fortgesetzt oder erneut gewährt werden. Hilfen zur Erziehung sowie Hilfen für junge Volljährige wurden im Jahr 2021 von 1.127.869 jungen Menschen bis 21 Jahre in Anspruch genommen.Vgl. Sandra Fendrich u. a., „Monitor Hilfen zur Erziehung 2023“ (Dortmund: Arbeitsstelle Kinder- und Jugendhilfestatistik, Dezember 2023), 8. Darüber hinaus wurden im Jahr 2021 59.130 „sonstige Hilfen“ nach § 27 Abs 2 SGB VIII gewährt, die nicht zu den Hilfen gem. §§ 28-35 SGB VIII (geltendes Recht) zählen.Vgl. Sandra Fendrich u. a., 66. Eingliederungshilfeleistungen bei (drohender) seelischer Behinderung bezogen im Jahr 2021 142.885 junge Menschen unter 21 Jahren.Vgl. Sandra Fendrich u. a., 84.
Normadressatinnen und Normadressaten sind darüber hinaus junge Menschen zwischen 12 und 21 Jahren, bzw. in Einzelfällen bis 27 Jahre, mit (drohenden) geistigen oder körperlichen Behinderungen, die derzeit Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem Neunten Sozialgesetzbuch (SGB IX, geltendes Recht) beziehen. In Deutschland gibt es etwa 300.000 Kinder und Jugendliche mit einer geistigen oder körperlichen Behinderung, die Eingliederungshilfeleistungen nach SGB IX beziehen.Vgl. „Kinder- und Jugendhilfeinklusionsgesetz – IKJHG“, 35. Im Jahr 2021 wurden 295.530 Eingliederungshilfeleistungen nach SGB IX (Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, Leistungen zur Teilhabe an Bildung, Leistungen zur sozialen Teilhabe) für minderjährige Leistungsberechtigte erbracht.Informationsdienst der Arbeitsstelle Kinder- und Jugendhilfestatistik, „Kommentierte Daten der Kinder- und Jugendhilfe (KOMDAT)“ (Dortmund: Dortmunder Arbeitsstelle Kinder- & Jugendhilfestatistik, Januar 2023), 10, Tab. 1.
Auch junge Menschen zwischen 12 und 27 Jahren, die ab dem Jahr 2028 Leistungen zur Entwicklung, zur Erziehung und zur Teilhabe nach dem SGB VIII in Anspruch nehmen bzw. hierauf einen Anspruch haben, sind von dem Gesetzesvorhaben betroffen.
Jugendrelevante Auswirkungen
Einheitlicher Leistungstatbestand für Jugendliche und junge Erwachsene mit und ohne Behinderung in Zuständigkeit der Kinder- und Jugendhilfe
§§ 27 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3 und Abs. 5; 35a Abs. 1 S. 1 und S. 3, Abs. 2 Nr. 1 – 4, Abs. 3 und Abs. 4 S. 2; 35b – 37f; 36a Abs. 1, Abs. 2 S. 1 und S. 2, Abs. 6 S. 1; 36b Abs. 1 S. 1; 38 Abs. 1 und Abs. 2 S. 1; 38 – 38d; 41 Abs. 2 SGB VIII
Mit dem IKJHG soll ein gemeinsamer Leistungstatbestand im SGB VIII aufgenommen werden, der die bisherige Hilfe zur Erziehung, die Leistungen der Eingliederungshilfe für Kinder und Jugendliche mit (drohender) seelischer Behinderung sowie die Leistungen der Eingliederungshilfe für Kinder und Jugendliche mit (drohender) geistiger oder körperlicher Behinderung nach SGB IX umfasst.Vgl. „Kinder- und Jugendhilfeinklusionsgesetz – IKJHG“, 38. Mit dem neuen Leistungstatbestand der Leistungen zur Entwicklung, zur Erziehung und zur Teilhabe in § 27 SGB VIII soll allen Kindern und Jugendlichen sowie ihren Personensorgeberechtigten ein Anspruch auf Hilfe zur Erziehung und auf Leistungen der Eingliederungshilfe zustehen, soweit dies der Erfüllung ihres Rechts auf Förderung ihrer Entwicklung nach § 1 Abs. 1 SGB VIII dient, vgl. § 27 Abs. 1 SGB VIII. Die Anspruchsinhaberschaft der Hilfe zu Erziehung soll weiterhin den Personensorgeberechtigten obliegen, vgl. § 27 Abs. 2 S. 1 SGB VIII. Jugendliche sollen nur dann einen eigenen Anspruch auf Hilfe zur Erziehung haben, soweit es sich um solche Hilfen handelt, die außerhalb des Elternhauses erbracht werden, vgl. § 27 Abs. 2 S. 2 SGB VIII. Die Hilfen für junge Volljährige nach § 41 SGB VIII sollen entsprechend angepasst werden, sodass sie für den gesamten Leistungstatbestand der Leistungen zur Entwicklung, zur Erziehung und zur Teilhabe gelten, vgl. § 41 Abs. 2 SGB VIII.
Innerhalb des einheitlichen Leistungstatbestandes sollen zwei voneinander unabhängige Anspruchsgrundlagen für die Hilfen zur Erziehung und die Leistungen der Eingliederungshilfe bestehen, vgl. § 27 Abs. 2 und Abs. 3 SGB VIII. Der Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe soll für Kinder und Jugendliche mit (drohenden) Behinderungen bestehen, soweit die zur Verfügung stehenden Leistungen für die Ermöglichung einer individuellen Lebensführung geeignet und notwendig sind und dadurch eine gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben erzielt werden kann, vgl. § 27 Abs. 3 SGB VIII. Dabei soll auf die mit dem KJSG eingeführte Definition von Behinderung nach § 7 Abs. 2 SGB VIII verwiesen werden, vgl. § 27 Abs. 3 S. 1 SGB VIII. Die Bedarfsermittlung bei Leistungen der Eingliederungshilfe für Kinder und Jugendliche soll verpflichtend durch ein Instrument erfolgen, welches sich an der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit orientiert, es sollen zudem die Regelungen zur Ermittlung und Erkennung des Rehabilitationsbedarfs nach dem Eingliederungshilferecht des SGB IX berücksichtigt werden, vgl. § 38b Abs. 1 und 2 S. 1 SGB VIII.
Die durch den örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe gewährten Leistungen der Eingliederungshilfe sollen Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, zur Teilhabe am Arbeitsleben, zur Teilhabe an Bildung und Leistungen zur sozialen Teilhabe umfassen, vgl. § 35a Abs. 2 Nr. 1 – 4 SGB VIII. Dabei sollen für die Leistungsgewährung und die spezifische Bestimmung der Art der Leistung weiterhin grundsätzlich die Bestimmungen des SGB IX gelten, vgl. § 35a Abs. 1 S 1. SGB VIII. Die verschiedenen Leistungsarten, wie beispielsweise Leistungen zur Teilhabe an Bildung (§ 35d SGB VIII), sollen durch eigene Leistungsbeschreibungen mit Zuschnitten für die Bedarfe von Kindern und Jugendlichen darüber hinaus im SGB VIII konkretisiert werden, vgl. §§ 35b – 37f SGB VIII. Die verschiedenen Leistungsarten sollen miteinander kombiniert und als Sach-, Geld- oder Dienstleistungen erbracht werden können, vgl. § 35a Abs. 1 S. 3 und Abs. 3 SGB VIII. Die Leistungen sollen, soweit dies nicht mit einer verminderten Aufgabenwahrnehmung einhergeht und die Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen mit (drohender) Behinderung ausreichend berücksichtigt sind, in Einrichtungen erbracht werden, in denen auch Kinder und Jugendliche ohne Behinderungen Leistungen erhalten, vgl. § 35a Abs. 4 S. 2 SGB VIII.
Es sollen sowohl Hilfen zur Erziehung als auch Leistungen der Eingliederungshilfe zeitgleich beansprucht werden können, soweit ein entsprechender individueller Bedarf besteht, vgl. § 27 Abs. 1 und Abs. 5 SGB VIII. Sofern ein Anspruch auf Hilfe zur Erziehung gem. § 27 Abs. 2 SGB VIII als auch auf Leistungen der Eingliederungshilfe gem. § 27 Abs. 3 SGB VIII besteht, sollen die für die Hilfen und Leistungen herangezogenen Einrichtungen, Dienste und Personen geeignet sein, sowohl den erzieherischen Bedarf als auch den Eingliederungshilfebedarf abzudecken, vgl. § 27 Abs. 5 SGB VIII.
Ambulante Dienstleistungen sollen unabhängig davon, ob es sich um Hilfen zur Erziehung oder um Dienstleistungen als Teilhabeleistungen handelt, kostenbeitragsfrei sein.Vgl. „Kinder- und Jugendhilfeinklusionsgesetz – IKJHG“, 40. Die Kostenbeitragsfreiheit ergibt sich daraus, dass die ambulanten Leistungen nicht in der Vorschrift über die Kostenbeiträge (§ 91 SGB VIII) aufgelistet sind. Auch bisher waren die ambulanten Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe kostenbeitragsfrei.
Nach den in § 36 SGB VIII definierten Grundsätzen der Hilfe- und Leistungsplanung soll ein schriftlicher Hilfe- und Leistungsplan für die Leistungen zur Entwicklung, zur Erziehung und zur Teilhabe durch den örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe gemeinsam mit dem leistungsberechtigten Kind oder Jugendlichen sowie mit den Personensorgeberechtigten erstellt werden, vgl. § 36a Abs. 1 und Abs. 6 S. 1 SGB VIII. Innerhalb des Hilfe- und Leistungsplans soll das Wunsch- und Wahlrecht des Kindes oder des Jugendlichen sowie der Personensorgeberechtigten nach § 5 SGB VIII berücksichtigt werden, vgl. § 36a Abs. 1 S. 2 SGB VIII. Der Hilfe- und Leistungsplan soll regelmäßig, spätestens nach zwei Jahren, überprüft und fortgeschrieben werden, vgl. § 36a Abs. 2 S. 2 SGB VIII. Der Hilfe- und Leistungsplan soll neben der im SGB VIII bestehenden Überprüfung und Fortschreibung um eine Wirkungskontrolle sowie Steuerung und Dokumentation des Prozesses der Hilfe- und Leistungsgewährung ergänzt werden, vgl. § 36a Abs. 2 S. 1 SGB VIII. Zur Aufstellung des Hilfe- und Leistungsplans soll, ähnlich wie in der derzeitig bestehenden Hilfeplanung des SGB VIII, in Zukunft die Möglichkeit einer Hilfe- und Leistungsplankonferenz bestehen, die unter dem Vorbehalt der Zustimmung der leistungsberechtigten Person steht, vgl. § 36b Abs. 1 S. 1 SGB VIII. Soweit das Kind oder die jugendliche Person Leistungen der Eingliederungshilfe erhält, sollen für die Hilfe- und Leistungsplanerstellung zusätzliche Bestimmungen gelten, die die besonderen Teilhabebedarfe berücksichtigen, vgl. §§ 38 – 38d SGB VIII. Soweit Leistungen der Eingliederungshilfe erbracht werden, sollen die Ergebnisse der Bedarfsermittlung nach § 38b SGB VIII maßgeblich sein und die Grundlage für die beratende Hilfe- und Leistungsplankonferenz bilden, vgl. § 38d Abs. 1 SGB VIII. Die Inhalte des Hilfe- und Leistungsplans bei Leistungen der Eingliederungshilfe sollen den Inhalten des Teilhabeplans gem. § 19 Abs. 2 S. 2 SGB IX entsprechen, vgl. § 38c SGB VIII.
Durch die Zusammenführung der Ansprüche auf Hilfe zur Erziehung sowie auf Leistungen der Eingliederungshilfe im neuen § 27 SGB VIII als Leistungen zur Entwicklung, zur Erziehung und zur Teilhabe, wird ein einheitlicher Leistungstatbestand geschaffen, der eigene Anspruchsgrundlagen für erzieherische Bedarfe sowie Leistungen der Eingliederungshilfe unabhängig von der Art der Behinderung umfasst. Damit wird die sogenannte „Inklusive Lösung“ im SGB VIII umgesetzt und der örtliche Träger der öffentlichen Jugendhilfe für alle jungen Menschen mit und ohne (drohende) Behinderungen zuständig. Die Regelungen des einheitlichen Leistungstatbestands können junge Menschen mit und ohne (drohende) Behinderungen in ihrem Recht auf Entwicklung und Erziehung zu einer selbstbestimmten, eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit nach § 1 Abs. 1 SGB VIII unterstützen. Die Stärkung dieser Rechtsposition gilt insbesondere für Jugendliche, die einen eigenen Anspruch auf Hilfe zur Erziehung erhalten, sofern die Hilfe außerhalb des Elternhauses erbracht wird. Bislang lag der Rechtsanspruch für die Hilfen zur Erziehung ausschließlich bei ihren Personensorgeberechtigten. Der eigene Rechtsanspruch unterstreicht die Subjektstellung Betroffener in ihrem Anspruch auf Erziehung und Entwicklung. Allerdings soll dieser nur für Hilfen außerhalb des Elternhauses gelten, weshalb junge Menschen keinen allumfassenden eigenen Rechtsanspruch auf Hilfe zur Erziehung erhalten. Dies kann bei Meinungsverschiedenheiten über den Wunsch der Inanspruchnahme der Hilfe zu Konflikten mit den Eltern führen, da das elterliche Erziehungsrecht dem Rechtsanspruch der oder des Jugendlichen gegenübersteht.
Der einheitliche Leistungstatbestand der Leistungen zur Entwicklung, zur Erziehung und zur Teilhabe kann darüber hinaus die Rechte von Minderjährigen und jungen Volljährigen mit einer Behinderung nach Artikel 7 Abs. 1 der UN-Behindertenrechtskonvention stärken. Dieser Artikel der UN-Behindertenrechtskonvention verpflichtet den Staat, alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen, damit Kinder mit Behinderung dieselben Menschenrechte und Grundfreiheiten erhalten wie Kinder ohne Behinderung.Vgl. Art. 7 Abs. 1 UN-Behindertenrechtskonvention Die Regelung kann zu einer Gleichstellung von jungen Menschen mit und ohne (drohende) Behinderungen beitragen.
Durch die Gesamtzuständigkeit des örtlichen Trägers der öffentlichen Jugendhilfe können Jugendliche und junge Erwachsene mit (drohenden) Behinderungen einen verbesserten Zugang zu bedarfsgerechten Unterstützungsleistungen erhalten, da bislang in der Praxis Probleme in der Zuordnung zwischen den Leistungssystemen der Eingliederungshilfe sowie der Kinder- und Jugendhilfe bestehen. Dies liegt unter anderem an der Entwicklungsdynamik dieser Altersgruppe, die eine Abgrenzung zwischen verschiedenen Formen der Beeinträchtigung erschwert, beispielsweise zwischen einer seelischen und einer geistigen Behinderung und zwischen behinderungsbedingten und erzieherischen Bedarfen.Vgl. „Kinder- und Jugendhilfeinklusionsgesetz – IKJHG“, 38. Der Zugang zu Hilfen und Leistungen könnte schneller erfolgen, wenn Eltern oder Erziehungsberechtigte bzw. die jungen Menschen selbst nicht bei unterschiedlichen Sozialleistungsträgern Ansprüche geltend machen müssen und ggf. an den jeweils anderen Träger zur Leistungsgewährung verwiesen werden. Darüber hinaus kommt es für junge Menschen mit (drohender) Behinderung zu keiner Verschlechterung der Leistungsansprüche, da weiterhin die Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, zur Teilhabe am Arbeitsleben, zur Teilhabe an Bildung und Leistungen zur sozialen Teilhabe vom Leistungsspektrum umfasst sein sollen. Vielmehr könnten die geplanten Konkretisierungen dazu führen, dass gewährte Eingliederungshilfeleistungen sich stärker an der Lebenswelt betroffener Jugendlicher und junger Volljähriger orientieren. Die Leistungen zur sozialen Teilhabe sollen im Sinne der Kinder- und Jugendhilfe die Persönlichkeitsentwicklung junger Menschen in den Blick nehmen und darüber hinaus ebenso ihr soziales Umfeld berücksichtigen.Vgl. „Kinder- und Jugendhilfeinklusionsgesetz – IKJHG“, 56. Damit kann die Perspektive der Kinder- und Jugendhilfe, die junge Menschen und ihr (familiäres) Umfeld betrachtet, auch für die Eingliederungshilfe an Bedeutung gewinnen.
Die Bedarfsermittlung bei Leistungen der Eingliederungshilfe soll durch ein Instrument erfolgen, welches sich an der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) orientiert.Vgl. „Kinder- und Jugendhilfeinklusionsgesetz – IKJHG“, 62. Damit erfolgt die Bedarfsermittlung für Jugendliche und junge Volljährige mit (drohenden) geistigen oder körperlichen Behinderungen weiterhin nach den bestehenden Regelungen des SGB IX, wodurch sich für sie keine Leistungsverschlechterung ergibt. Für Jugendliche und junge Volljährige mit einer drohenden oder bestehenden seelischen Behinderung wird die Bedarfsermittlung an die der Eingliederungshilfe nach SGB IX angepasst. Damit erfolgt die Bedarfsermittlung in Zukunft für alle Jugendlichen mit (drohenden) Behinderungen nach einer einheitlichen Klassifikation, wodurch der Zugang zu Leistungen einheitlicher werden kann.
Darüber hinaus könnten insbesondere junge Volljährige mit (drohenden) Behinderungen über das 18. Lebensjahr hinaus Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe erhalten, die erzieherische und behinderungsbedingte Bedarfe umfassen. Denn durch § 41 SGB VIII können sie geeignete und notwendige Hilfen bis zum 21. Lebensjahr erhalten, sofern dies der Entwicklung ihrer Persönlichkeit nach § 1 Abs. 1 SGB VIII dient. In begründeten Einzelfällen kann die Hilfe auch über das 21. Lebensjahr hinaus verlängert sowie nach Beendigung erneut gewährt werden. Junge Erwachsene mit (drohenden) Behinderungen könnten damit Kontinuität in ihrer Begleitung im Übergang zum Erwachsenenleben erhalten und auf ihrem Weg der Verselbstständigung und Selbstpositionierung in der Gesellschaft begleitet werden.Vgl. Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ, „Inklusion gestalten! Anregungen zum Beteiligungsprozess, Bewertungen der Gestaltungsoptionen zum Verfahren (2. Teil), Finanzierung, Übergang in die Eingliederungshilfe, Gerichtsbarkeit, Umstellung und Übergangsphase sowie Kostenheranziehung. Zweite zusammenführende Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ zum BMFSFJ-Diskussionsprozess „Gemeinsam zum Ziel““ (Berlin, 21. September 2023), 6 f., https://www.agj.de/fileadmin/files/positionen/2023/Zweite_AGJ-StN_Gemeinsam-zum-Ziel.pdf, letzter Abruf: 20.09.2024; Vgl. BT-Drucksache 18/11050, „15. Kinder- und Jugendbericht. Bericht über die Lebenssituation junger Menschen und die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland“ (Berlin, 2017), 6. Für diese spezifische Gruppe kann die weitere Begleitung durch die Kinder- und Jugendhilfe zudem wichtig im Übergang zum Hilfesystem der Eingliederungshilfe sein, die im weiteren Erwachsenenleben für die Bewilligung von Teilhabeleistungen zuständig wird.
Der einheitliche Leistungstatbestand ermöglicht es Jugendlichen sowie jungen Volljährigen, Hilfen zur Erziehung sowie Leistungen der Eingliederungshilfe unabhängig voneinander, jedoch auch gleichzeitig beziehen zu können. Dies kann dazu beitragen, dass sie Hilfen und Leistungen erhalten, die ihren individuellen Bedarfen entsprechen. Zwar konnten Hilfen zur Erziehung und Leistungen der Eingliederungshilfe bisher bereits zeitgleich bezogen werden, neu ist jedoch, dass die Bedarfe junger Menschen fortan einheitlich betrachtet werden und so zielgenauer bedarfsgerechte Hilfen und Leistungen erbracht werden können. Dies erfolgt u.a. durch den gemeinsamen Hilfe- und Leistungsplan sowie das ggf. stattfindende Hilfe- und Leistungsplangespräch. Mit der Verschiebung der Zuständigkeit der Eingliederungshilfe, unabhängig von der Art der Behinderung, in das System der Kinder- und Jugendhilfe, kann auch ein Perspektivwechsel einhergehen. Dabei wird in der Jugendhilfe ein familienorientierter Ansatz verfolgt, welcher das Sozialsystem junger Menschen in den Fokus stellt.Vgl. Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ, „Inklusion gestalten! Anregungen zum Beteiligungsprozess, Bewertungen der Gestaltungsoptionen zum Verfahren (2. Teil), Finanzierung, Übergang in die Eingliederungshilfe, Gerichtsbarkeit, Umstellung und Übergangsphase sowie Kostenheranziehung. Zweite zusammenführende Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ zum BMFSFJ-Diskussionsprozess „Gemeinsam zum Ziel““, 8. Besonders betroffen sind davon Jugendliche und junge Volljährige mit (drohenden) geistigen oder körperlichen Behinderungen, die bislang Leistungen der Eingliederungshilfe nach SGB IX erhalten und für die darüber hinaus ein erzieherischer Bedarf besteht. Denn durch die Zusammenführung der Hilfen zur Erziehung sowie der Leistungen der Eingliederungshilfe können bereits im Hilfe- und Leistungsplangespräch sowohl Aspekte der Erziehung als auch der Teilhabe betroffener junger Menschen ganzheitlich und unter Betrachtung des sozialen Umfelds sowie der Familie in den Blick genommen werden.Vgl. „Kinder- und Jugendhilfeinklusionsgesetz – IKJHG“, 38.
In Zukunft soll der Hilfe- und Leistungsplan regelmäßig überprüft und fortgeschrieben werden. Auch im bisherigen § 36 Abs. 2 SGB VIII (geltendes Recht) ist eine regelmäßige Prüfung dahingehend vorgesehen, ob die gewährte Hilfe weiterhin geeignet und notwendig ist. Neu ist jedoch der Zusatz, dass eine regelmäßige Überprüfung spätestens nach zwei Jahren zu erfolgen hat. Auch wenn im geltenden Recht keine konkrete Zeitspanne zur Überprüfung genannt ist, wird der Hilfeplan in der Regel etwa alle sechs Monate fortgeschrieben, um auf Veränderungsbedarfe betroffener Jugendlicher reagieren zu können.Vgl. Landesamt für Soziales, Jugend, und Versorgung des Landes, und Rheinland-Pfalz, „Empfehlungen zur Hilfeplanung nach § 36 SGB VIII“, Juli 2007, 24, https://lsjv.rlp.de/fileadmin/lsjv/Themen/Kinder/Downloads/Landesjugendamt/Hilfen_Erziehung_Empf_36_SGB_VIII.pdf, letzter Abruf: 20.09.2024. Sollte durch die Gesetzesänderung eine Überprüfung und Fortschreibung erst alle zwei Jahre stattfinden, kann dies insbesondere für erzieherische Bedarfe junger Menschen zu spät sein, da damit nicht zeitnah auf Veränderungsprozesse in der Lebensphase Jugend reagiert werden kann. Auch der bestehende Fachkräftemangel könnte dazu beitragen, den Überprüfungszeitraum in Zukunft auszuweiten.
Da die ambulanten Dienstleistungen wie bislang kostenbeitragsfrei bleiben sollen, kann auch in Zukunft ein niedrigschwelliger Zugang zu diesen Leistungen bestehen. Junge Menschen mit und ohne (drohende) Behinderungen können dadurch lebensweltorientiert kostenfreie Angebote erhalten und in ihrem Anspruch auf Entwicklung und Erziehung nach § 1 Abs. 1 SGB VIII unterstützt werden.Vgl. Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ, „Inklusion gestalten! Anregungen zum Beteiligungsprozess, Bewertungen der Gestaltungsoptionen zum Verfahren (2. Teil), Finanzierung, Übergang in die Eingliederungshilfe, Gerichtsbarkeit, Umstellung und Übergangsphase sowie Kostenheranziehung. Zweite zusammenführende Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ zum BMFSFJ-Diskussionsprozess „Gemeinsam zum Ziel““, 14.
Zur Leistungserbringung sollen vorrangig solche Einrichtungen, Personen und Dienste genutzt werden, die inklusiv ausgerichtet sind und in denen Kinder und Jugendliche mit und ohne (drohende) Behinderungen gemeinsam Leistungen erhalten. Dies kann dazu beitragen, Jugendlichen mit (drohenden) Behinderungen ein Aufwachsen gemeinsam mit Gleichaltrigen ohne Behinderungen zu ermöglichen und zur Inklusion beitragen. Eine Voraussetzung dafür ist jedoch, dass alle Angebote der Kinder- und Jugendhilfe tatsächlich barrierefrei sindVgl. Janina Jänsch, „Ein Blick aus der Eingliederungshilfe: der Weg in eine inklusive Kinder- und Jugendhilfe und die Vorbereitung der Reform 2.0“, Forum Jugendhilfe, Nr. 01/2024 (2024): 14. und damit auch von allen Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Anspruch genommen werden können. Es entspräche nicht dem Sinn der Inklusiven Lösung, wenn aufgrund eines mangelnden Angebots sowie einer mangelnden inklusiven Ausrichtung von Einrichtungen oder Diensten überwiegend solche genutzt werden, in denen nur Jugendliche mit einer (drohenden) Behinderung Leistungen erhalten, weil nur in diesen die Leistungen der Eingliederungshilfe ausreichend erfüllt werden können.
Unterstützung junger Menschen mit (drohenden) Behinderungen und ihrer Familien durch die Verstetigung der Rolle der Verfahrenslotsen
§§ 10b Abs. 1 S. 1 und S. 2, Abs. 2 S. 1 SGB VIII
Der Gesetzesentwurf sieht die Verstetigung der Rolle der Verfahrenslotsen vor, deren Funktion derzeit durch das KJSG bis zum 31.12.2027 befristet ist. Dabei soll sich der Unterstützungs- bzw. Beratungsumfang der Verfahrenslotsen nicht nur auf Leistungen der Eingliederungshilfe beschränken, sondern insgesamt die Leistungen zur Teilhabe i. S. d. § 4 SGB IX umfassen, vgl. § 10b Abs. 1 S. 1 und S. 2 SGB VIII.Vgl. „Kinder- und Jugendhilfeinklusionsgesetz – IKJHG“, 40. Verfahrenslotsen sollen weiterhin für den örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe als Unterstützung hinsichtlich der Berücksichtigung des Inklusionsgedankens innerhalb der Kinder- und Jugendhilfe dienen und diesem zusätzlich in der inklusiven Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe, der Jugendhilfeplanung sowie in der Weiterentwicklung der Angebote und des Ausbaus der Infrastruktur zur Verfügung stehen, vgl. § 10b Abs. 2 S. 1 SGB VIII.
Mit der Verstetigung der Verfahrenslotsen kann jungen Menschen mit (drohenden) Behinderungen auch in Zukunft eine wichtige Unterstützung im Zugang und der Inanspruchnahme von Leistungen der Eingliederungshilfe zur Seite gestellt werden. Da nach der Umsetzung der Inklusiven Lösung im SGB VIII die Ansprüche auf Eingliederungshilfe unabhängig von der Art der Behinderung in der Kinder- und Jugendhilfe verortet sind, kann die Erweiterung des Beratungsspektrums auf Leistungen zur Teilhabe nach § 4 SGB IX Betroffenen und ihren Familien dabei helfen, Leistungen aus anderen Sozialleistungssystemen wie der gesetzlichen Krankenversicherung oder der sozialen Pflegeversicherung zu erhalten.[note]Vgl. „Kinder- und Jugendhilfeinklusionsgesetz – IKJHG“, 50.[/note] Denn sie „stehen einem Sozialleistungssystem gegenüber, das durch eine Vielzahl von Leistungstatbeständen in unterschiedlichen Sozialgesetzen geprägt ist“.[note]Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ, „Inklusion gestalten! Anregungen zum Beteiligungsprozess, Bewertungen der Gestaltungsoptionen zum Verfahren (2. Teil), Finanzierung, Übergang in die Eingliederungshilfe, Gerichtsbarkeit, Umstellung und Übergangsphase sowie Kostenheranziehung. Zweite zusammenführende Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ zum BMFSFJ-Diskussionsprozess „Gemeinsam zum Ziel““, 62f.[/note] Neben den Schnittstellen zu den weiteren Rehabilitationsträgern könnten Verfahrenslotsen junge Erwachsene zukünftig insbesondere beim Übergang von der Kinder- und Jugendhilfe in das Erwachsenensystem im SGB IX begleiten.[note]Vgl. Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ, 12.[/note]
Durch die Konkretisierung der Aufgaben der Verfahrenslotsen sollen diese zukünftig auch auf örtlicher Ebene im Rahmen der Jugendhilfeplanung bei der Weiterentwicklung einer inklusiven Kinder- und Jugendhilfe unterstützen. Damit können sie ihr Wissen einbringen, um die sozialräumlichen Angebote möglichst passgenau für alle Jugendlichen anbieten und weiterentwickeln zu können.[note]Vgl. „Kinder- und Jugendhilfeinklusionsgesetz – IKJHG“, 50.[/note] Dabei können sie ggf. auch auf eine Weiterentwicklung hinwirken, die den Bedarfen und Wünschen junger Menschen entspricht, sofern sie durch ihre Beratungstätigkeit darüber Kenntnisse haben.
Zur konkreten Ausgestaltung der Aufgaben der Verfahrenslotsen gilt jedoch zu bedenken, dass diese erst zum 1. Januar 2024 eingeführt wurden und ggf. noch unzureichende Erfahrungen und Rückmeldungen aus den Kommunen vorliegen. Diese Erfahrungen können jedoch wichtig sein, um die Aufgaben so zu konkretisieren, dass eine möglichst bedarfsgerechte Unterstützung Betroffener sowie der Strukturen vor Ort erreicht werden kann.
Erweiterung des inklusiven Angebots der Träger der freien Jugendhilfe und bevorzugte Berücksichtigung inklusiver Einrichtungen für die Unterbringung junger Menschen mit Behinderungen
§§ 74 Abs. 4; 75 Abs. 2 SGB VIII
Der Ausbau der inklusiven Angebote der freien Träger der Jugendhilfe soll unter anderem durch die Anpassung der für die Anerkennung festgeschriebenen Qualitätsmerkmale erreicht werden.Vgl. „Kinder- und Jugendhilfeinklusionsgesetz – IKJHG“, 40; 64 f. Es soll zukünftig solchen Einrichtungen, Diensten oder Personen der freien Jugendhilfe eine Vorzugsposition hinsichtlich einer Förderung durch die öffentliche Jugendhilfe eingeräumt werden, deren Dienstleistungen und Maßnahmen bei gleicher Eignung stärker inklusiv ausgerichtet sind, vgl. § 74 Abs. 4 SGB VIII. Einen Anspruch auf die Anerkennung als freier Träger der Jugendhilfe sollen künftig juristische Personen und Personenvereinigungen neben den bereits bestehenden Voraussetzungen auch dann haben, wenn sie mindestens drei Jahre auf dem Gebiet der Eingliederungshilfe für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen tätig gewesen sind, vgl. § 75 Abs. 2 SGB VIII.
Mit der Ergänzung in § 74 Abs. 4 SGB VIII kann der Ausbau inklusiver Angebote vonseiten der freien Träger befördert werden, indem ihnen ein Anreiz geboten wird, bestehende Angebote anzupassen und das Angebotsspektrum insgesamt zu erweitern. Denn nur, wenn Angebote möglichst barrierefrei gestaltet sind, kann eine inklusive Kinder- und Jugendhilfe gelingen.Vgl. Janina Jänsch, „Ein Blick aus der Eingliederungshilfe: der Weg in eine inklusive Kinder- und Jugendhilfe und die Vorbereitung der Reform 2.0“, 14. Die inklusive Ausrichtung der Angebote ist auch dahingehend von Bedeutung, dass Kinder und Jugendliche mit und ohne (drohende) Behinderung möglichst auf dieselben Angebote zurückgreifen können sollen. Zu bedenken ist jedoch, dass neben möglichen baulichen Maßnahmen hinsichtlich Barrierefreiheit, die freien Träger auch ausreichend qualifizierte Fachkräfte benötigen, um inklusive Angebote anbieten oder ausbauen zu können. Im Bereich der Hilfen zur Erziehung gibt es einen Fachkräftemangel, welcher sich bereits jetzt auf die Angebote vor Ort und die Qualitätsstandards auswirkt.Vgl. AFET – Bundesverband für Erziehungshilfe e.V., „Ohne Fachkräfte keine qualifizierte Kinder- und Jugendhilfe! Dringender Aufruf zum Dialog und Handeln der Verantwortlichen bei öffentlichen und freien Trägern“ (Hannover, 15. Januar 2024), 1, https://afet-ev.de/themenplattform/afet-aufruf-an-freie-und-oeffentliche-traeger-ohne-fachkraefte-keine-qualifizierte-kinder-und-jugendhilfe-15-01-2024, letzter Abruf: 20.09.2024.
Die Verankerung des Anspruchs auf Anerkennung als Träger der freien Jugendhilfe für juristische Personen oder Personenvereinigungen, welche mindestens drei Jahre auf dem Gebiet der Eingliederungshilfe für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen tätig waren, kann dazu beitragen, dass ausreichend Angebote für betroffene junge Menschen mit (drohenden) Behinderungen zur Verfügung stehen. Zudem können bestehende Angebote weitergeführt werden, wodurch es im besten Fall zu keiner Verschlechterung der Angebote für Jugendliche mit geistiger oder körperlicher Behinderung kommt. Denn mit der Gesamtzuständigkeit des örtlichen Trägers der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe müssen Anbieter von Eingliederungshilfe als Träger der freien Jugendhilfe anerkannt sein, um eine Förderung zu erhalten und Dienstleistungen anbieten zu können.Vgl. „Kinder- und Jugendhilfeinklusionsgesetz – IKJHG“, 40.
Sozialgerichte als einheitliche zuständige Gerichtsbarkeit bei Eingliederungshilfeleistungen
§ 51 Abs. 1 Nr. 6b SGG
Die Sozialgerichte sollen für die Leistungen der Eingliederungshilfe, die in der Zuständigkeit der Kinder- und Jugendhilfe liegen, zuständig sein, vgl. § 51 Abs. 1 Nr. 6b Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Für Jugendliche und junge Erwachsenen mit (drohenden) Behinderungen wird es auch in Zukunft eine geteilte Gerichtsbarkeit geben, sofern sie Leistungen der Eingliederungshilfe und Hilfen zur Erziehung beziehen. Daher besteht weiterhin die Notwendigkeit, dass sich junge Menschen bzw. ihre Eltern oder Erziehungsberechtigten an zwei unterschiedliche Gerichtsbarkeiten wenden müssen, sofern sie sowohl Hilfen zur Erziehung wie auch Leistungen der Eingliederungshilfe erhalten und gegen diese gerichtlich vorgehen bzw. eine Entscheidung diesbezüglich überprüft haben möchten. Damit wird die Inklusive Lösung für die Gerichtsbarkeiten nicht umgesetzt. Dies kann für junge Menschen und ihre Familien bedeuten, dass sie mehrere Verfahren an unterschiedlichen Gerichten gleichzeitig führen müssen.
Verschiebung des Zuständigkeitsübergangs durch Länderöffnungsklausel
§ 85 Abs. 5 S. 1 und S. 2 SGB VIII
Es soll die Möglichkeit geschaffen werden, den zum 01. Januar 2028Vgl. Art 8 Abs. 1 IKJHG vorgesehenen Zuständigkeitsübergang zum örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe für Kinder und Jugendliche mit (drohenden) geistigen oder körperlichen Behinderungen durch Verabschiedung einer Länderöffnungsklausel zu verschieben und in die Entscheidungskompetenz der Länder zu legen. Hiernach soll es den Ländern freistehen, bis zum 31.12.2030 festzulegen, dass die Zuständigkeit für die Gewährung der Leistungen der Eingliederungshilfe für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen und ergänzende Leistungen (§§ 27 Absatz 3 – 3b, 35a – 40 SGB VIII) dem überörtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe oder einer anderen Körperschaft des öffentlichen Rechts übertragen wird, vgl. § 85 Abs. 5 S. 1 SGB VIII. Machen die Länder von dieser Übertragungsmöglichkeit Gebrauch, sieht das Gesetz vor, dass eine Einbeziehung des örtlichen Trägers der öffentlichen Jugendhilfe für eine Gewährleistung der ortsnahen Wahrnehmung der Aufgaben der Hilfe- und Leistungsplanung gem. §§ 36 – 38d SGB VII erfolgen muss, vgl. § 85 Abs. 5 S. 2 SGB VIII.
Sofern Bundesländer von der vorgesehen Möglichkeit Gebrauch machen, den Zuständigkeitsübergang für Leistungen der Eingliederungshilfe für Kinder und Jugendliche mit (drohenden) geistigen oder körperlichen Behinderungen und ergänzende Leistungen zum örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe bis Ende 2030 aufzuschieben, würde die Inklusive Lösung mit der einheitlichen Zuständigkeit erst ab dem Jahr 2031 bundesweit gelten. Dies würde für anspruchs- bzw. hilfeberechtigte junge Menschen damit einhergehen, dass keine bundeseinheitlichen Zuständigkeitsregeln für die Gewährung von Leistungen der Eingliederungshilfe bis zum Jahr 2031 gelten. Dies könnte für Betroffene zu Verunsicherung in Bezug auf die Fragen der Zuständigkeit führen. Beispielsweise könnte für Jugendliche bzw. deren Personensorgeberechtigte im Falle eines Umzuges in ein anderes Bundesland, welches von der Länderöffnungsklausel Gebrauch gemacht hat, Unsicherheit dahingehend bestehen, welcher Träger bzw. welche Behörde für die Leistungen der Eingliederungshilfe und ergänzenden Leistungen zuständig ist. Auch könnte die Möglichkeit des Aufschubs der Zuständigkeitsverschiebung dazu führen, dass die Leistungsgewährung bzw. die Entscheidung über die Gewährung von Eingliederungshilfeleistungen ohne die vorgesehene örtliche Nähe erfolgt, da sie nicht in der Zuständigkeit des örtlichen Trägers der Kinder- und Jugendhilfe liegt und diese nur im Rahmen der Hilfe- und Leistungsplanung herangezogen werden müssen. Dies könnte sich wiederum auf die betroffenen jungen Menschen in der Gestalt auswirken, dass ihr soziales und familiäres Umfeld nicht ausreichend in den Blick genommen wird und der überörtliche Träger nicht über ausreichende Ortskenntnisse etwa im Hinblick auf die Angebotsstruktur der freien Träger vor Ort verfügt.
Darüber hinaus sieht der Gesetzentwurf in § 85 Abs. 5 SGB VIII keine Voraussetzungen dafür vor, von der Länderöffnungsklausel Gebrauch machen zu können. Es könnte demnach dazu kommen, dass viele Bundesländer die Inklusive Lösung in Zuständigkeit des örtlichen Trägers der öffentlichen Jugendhilfe zeitlich verschieben, um mehr Zeit für die Umstrukturierung der Verwaltungsstrukturen zu erhalten.
Anmerkungen und Hinweise
Damit die Inklusive Lösung im SGB VIII gelingen kann, muss ausreichend qualifiziertes Fachpersonal beim örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe vorhanden sein. Der Fachkräftemangel im Bereich der Hilfen zur Erziehung besteht nicht nur bei den freien Trägern der Jugendhilfe, sondern ebenso beim öffentlichen Träger, in den Jugendämtern und den Allgemeinen Sozialen Diensten.Vgl. AFET – Bundesverband für Erziehungshilfe e.V., „Ohne Fachkräfte keine qualifizierte Kinder- und Jugendhilfe! Dringender Aufruf zum Dialog und Handeln der Verantwortlichen bei öffentlichen und freien Trägern“, 1. Weiterhin sollte die Expertise der Träger der Eingliederungshilfe genutzt und transferiert werden. Dazu zählt z.B. auch, dass Dokumente barrierefrei zugänglich und in leichter Sprache zur Verfügung stehen.Vgl. Janina Jänsch, „Ein Blick aus der Eingliederungshilfe: der Weg in eine inklusive Kinder- und Jugendhilfe und die Vorbereitung der Reform 2.0“, 14.
Die beschriebenen Auswirkungen hängen demnach von der Umsetzung bei den jeweils örtlichen Trägern der öffentlichen Jugendhilfe ab.