Ziel des Gesetzesentwurfs
Mit dem Gesetzentwurf soll der Schutz gewaltbetroffener Eltern und Kinder im familiengerichtlichen Verfahren verbessert werden. Vgl. „Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des Schutzes von gewaltbetroffenen Personen im familiengerichtlichen Verfahren, zur Stärkung des Verfahrensbeistands und zur Anpassung sonstiger Verfahrensvorschriften“, 2024, 2. Zu den dafür geplanten gesetzlichen Maßnahmen soll u. a. die Stärkung des sog. Verfahrensbeistands gehören. Daneben sollen beispielsweise. auch die gerichtlichen Amtsermittlungspflichten in Kindschaftssachen gesetzlich konkretisiert werden, um auf diese Weise Anhaltspunkte für das Vorliegen von Partnerschaftsgewalt zu ermitteln. Vgl. „Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des Schutzes von gewaltbetroffenen Personen im familiengerichtlichen Verfahren, zur Stärkung des Verfahrensbeistands und zur Anpassung sonstiger Verfahrensvorschriften“, 2.
Zusammenfassung möglicher Auswirkungen
Das Kompetenzzentrum Jugend-Check hat folgende mögliche Auswirkungen identifiziert:
- Mit dem geplanten Gesetzesvorhaben sollen die bereits bestehenden Aufgaben des Verfahrensbeistands zur Feststellung und Wahrnehmung der Interessen des Kindes konkretisiert werden (§ 158b Abs. 1 Nr. 1-5 FamFG). Zu diesem Zweck sollen Minderjährige, die von familiengerichtlichen Verfahren betroffen sind, künftig u. a. explizit über den Gegenstand, den Ablauf sowie den möglichen Ausgang des Verfahrens informiert werden. Die Konkretisierung der bereits bestehenden Pflichten des Verfahrensbeistands kann zu einem erhöhten Maß an Rechtssicherheit für junge Menschen führen, wodurch das Kindeswohl generell, aber insbesondere in Gerichtsverfahren zu Familiensachen stärker berücksichtigt und damit gefördert werden kann.
- Durch die klarstellende Einführung des § 156a FamFG soll die Ermittlung des Schutzbedarfs von Kindern und Jugendlichen in Fällen von vermuteter partnerschaftlicher Gewalt explizit berücksichtigt werden. Beispielsweise soll die Gewaltbetroffenheit des Kindes durch eigenes Gewalterleben und durch das Miterleben von häuslicher Gewalt frühzeitig ermittelt werden. Damit kann den Vorgaben der Istanbul-Konvention entsprochen werden und mehr Rechtssicherheit für betroffene Jugendliche geschaffen werden, die sich wiederum förderlich auf deren Wohlergehen auswirken kann.
Betroffene Gruppen junger Menschen
Betroffene in der für den Jugend-Check relevanten Altersgruppe sind Minderjährige, über die ein gerichtliches Verfahren in Kindschaftssachen geführt wird.
Daneben sind auch Minderjährige betroffen, zwischen deren Eltern es (mutmaßlich) zu partnerschaftlicher Gewalt, d.h. einer Tat i.S.d. § 1 Abs. 1 S. 1 oder Abs. 2 S. 1 des Gewaltschutzgesetzes (GewSchG) gekommen ist. Für das Jahr 2021 meldet die polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) 143.016 Fälle von Gewalt in Partnerschaften. Vgl. „Partnerschaftsgewalt. Kriminalstatistische Auswertung – Berichtsjahr 2021“ (Wiesbaden: Bundeskriminalamt, 2022), 3.
Jugendrelevante Auswirkungen
Erhöhtes Maß an Rechtssicherheit durch konkretisierte Aufgaben und Pflichten des sog. Verfahrensbeistands in Kindschaftssachen
§§ 158b; 158c; 158d FamFG
Die Aufgaben und Rechte des Verfahrensbeistands Ein Verfahrensbeistand wird einem minderjährigen Kind bestellt, um seine Interessen in Kindschaftssachen, die seine Person betreffen, wahrzunehmen, vgl. hierfür § 158 Abs. 1 FamFG. Kindschaftssachen sind die dem Familiengericht zugewiesenen und in § 151 FamFG enumerativ aufgezählten Verfahren. sollen durch eine Änderung des § 158b Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) konkretisiert werden. Vgl. „Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des Schutzes von gewaltbetroffenen Personen im familiengerichtlichen Verfahren, zur Stärkung des Verfahrensbeistands und zur Anpassung sonstiger Verfahrensvorschriften“, 39 f. Zur Feststellung des Interesses des Kindes und dessen Geltendmachung im gerichtlichen Verfahren soll er beispielsweise „das Kind über Gegenstand, Ablauf und möglichen Ausgang des Verfahrens in geeigneter Weise informieren“ „Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des Schutzes von gewaltbetroffenen Personen im familiengerichtlichen Verfahren, zur Stärkung des Verfahrensbeistands und zur Anpassung sonstiger Verfahrensvorschriften“, 6. oder den Beschluss des Gerichtes mit dem Kind besprechen, vgl. § 158b Nr. 1 und Nr. 5 FamFG.
Weiterhin soll die Vergütung des Verfahrensbeistands von derzeit 350 Euro auf 690 Euro erhöht werden, vgl. § 158c Abs. 1 FamFG.
Daneben soll es dem Verfahrensbeistand in Zukunft verpflichtend ermöglicht werden, ohne Anwesenheit der Eltern persönliche Gespräche mit dem Kind zu führen, soweit dies, z.B. dem Alter des Kindes entsprechend, möglich ist, vgl. § 158d Abs. 1 FamFG. Das persönliche Gespräch zwischen dem Verfahrensbeistand und dem Kind soll auch durch gerichtliche Anordnung ermöglicht werden können, wenn die Eltern des Kindes sich weigern, das persönliche Gespräch zu ermöglichen, vgl. § 158d Abs. 2 FamFG.
Mit dem geplanten Gesetzesvorhaben sollen die bereits bestehenden Aufgaben des Verfahrensbeistands zur Feststellung und Wahrnehmung der Interessen des Kindes konkretisiert und erweitert werden. Die gesetzliche Normierung der Schritte, die im Einzelnen für die Feststellung und Wahrnehmung der Interessen des minderjährigen Jugendlichen erforderlich sein können, so z.B. die gemeinsame Besprechung des Verfahrensablaufs, kann zu einem erhöhten Maß an Rechtssicherheit führen. Hierdurch kann das Kindeswohl generell, aber insbesondere in Gerichtsverfahren zu Familiensachen stärker berücksichtigt und damit gefördert werden. Vor allem die Vorbereitung auf die anstehende Anhörung unter Berücksichtigung des Alters und der Persönlichkeit[note] Vgl. „Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des Schutzes von gewaltbetroffenen Personen im familiengerichtlichen Verfahren, zur Stärkung des Verfahrensbeistands und zur Anpassung sonstiger Verfahrensvorschriften“, 44.[/note] kann Jugendlichen helfen, in dieser oftmals als belastend empfundenen Situation das nötige Verständnis aufzubringen und sich kooperativ zu verhalten. Der Wille des betroffenen Kindes bzw. Jugendlichen muss hierfür jedoch ernstgenommen und ihm mit Empathie und Respekt gegenübergetreten werden.[note] Vgl. „Die Kindesanhörung. Ein Leitfaden für die Praxis im Rechts-, Bildungs- und Gesundheitswesen.“ (Zürich: UNICEF Schweiz, 2014), 14, https://www.unicef.ch/sites/default/files/2018-08/brosch_kindesanhoerung_leitfaden_de.pdf (zuletzt abgerufen am 29.07.2024).[/note] Da Jugendliche schon mit diversen anderen Entwicklungsaufgaben (z.B. Verselbstständigung, und Qualifizierung)[note] Vgl. BT-Drucksache 18/11050, „15. Kinder- und Jugendbericht. Bericht über die Lebenssituation junger Menschen und die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland“ (Berlin, 2017), 6.[/note] beschäftigt sind, kann sich die Zeit rund um die Anhörung für sie als besonders belastend darstellen. Sie können jedoch in der Regel in ihrem Alter bereits das nötige Verständnis für die Situation aufbringen und von der Zusammenarbeit mit dem Verfahrensbeistand besonders profitieren.
Künftig soll auch ein Gespräch zwischen den betroffenen Jugendlichen und dem Verfahrensbeistand verpflichtend ermöglicht werden. Dadurch kann die Informiertheit des Jugendlichen gefördert und ihm ein Raum geboten werden, in dem er oder sie ohne Anwesenheit der Eltern Fragen und Ängste an den Verfahrensbeistand formulieren kann. Jugendliche können oftmals bereits eigene, altersspezifische Vorstellungen, Fragen und Wünsche haben, die sich auf die gerichtliche Anhörung beziehen. Ein offenes Gespräch mit dem Verfahrensbeistand kann in diesem Sinne dazu beitragen, dass die Interessen des Jugendlichen im Gerichtsverfahren besser einfließen und damit auch berücksichtigt werden können. Abhängig vom Alter und der Persönlichkeit kann die Situation der nahenden Kindsanhörung diverse Ängste schüren. Hier kann insbesondere für „verunsicherte oder gar verängstigte Kinder […] ein offenes Gespräch entlastend wirken. Durch die erhaltenen Informationen können Kinder ihre Eindrücke einordnen, sich mit ihrer Situation auseinandersetzen und sich besser auf anstehende Veränderungen einstellen“.[note] „Die Kindesanhörung. Ein Leitfaden für die Praxis im Rechts-, Bildungs- und Gesundheitswesen.“, 19.[/note] Dies gilt insbesondere auch für Jugendliche, die durch ihr im Vergleich zu Kindern bereits größeres Verständnis komplexer Sachverhalte gut durch einen Verfahrensbeistand unterstützt werden können. Mit der verpflichtenden Ermöglichung eines Gesprächs zwischen dem Verfahrensbeistand und der bzw. dem Minderjährigen soll es in Zukunft also vereinfacht möglich sein, die Kindsinteressen festzustellen, zu erörtern und dadurch den bestmöglichen Schutz des betroffenen Kindes und Jugendlichen sicherzustellen.
Zu den grundsätzlichen Voraussetzungen hierfür gehört aber auch, dass ausreichend Personen den Beruf des Verfahrensbeistands ausüben und die entsprechenden Aufgaben übernehmen können. Vor diesem Hintergrund kann sich die Erhöhung der Vergütung als förderlich erweisen, sodass betroffene Jugendliche im Zeitraum des gerichtlichen Verfahrens geeignete Unterstützung durch einen Verfahrensbeistand bekommen.
Erhöhtes Maß an Rechtssicherheit durch die explizite Berücksichtigung des Schutzbedarfs von Kindern bei (mutmaßlicher) partnerschaftlicher Gewalt
§ 156a FamFG
Mit der geplanten Einführung des § 156a FamFG soll klarstellend geregelt werden, dass das zuständige Familiengericht u.a. den Schutzbedarf des Kindes ermitteln und in das familiengerichtliche Verfahren einfließen lassen soll, wenn Anknüpfungspunkte für partnerschaftliche Gewalt i.S.d. § 1 Abs. 1 S. 1 u. Abs. 2 S. 1 GewSchG Bei partnerschaftlicher Gewalt i.S.d. § 1 Abs. 1 S. 1 u. Abs. 2 S. 1 GewSchG handelt es sich um die vorsätzliche Verletzung des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung einer anderen Person (vgl. § 1 Abs. 1 S. 1 GewSchG), die Androhung entsprechender Taten (§ 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 GewSchG), das vorsätzliche Eindringen in die Wohnung einer anderen Person (§ 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 lit. a) GewSchG) oder die Belästigung durch Nachstellen oder Verfolgen mit Fernkommunikationsmitteln (§ 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 lit. b) GewSchG). zwischen den Elternteilen bestehen. Dadurch sollen die nach § 26 FamFG bereits bestehenden gerichtlichen Amtsermittlungspflichten konkretisiert werden, zu denen „bei Entscheidungen über das Sorge- und Umgangsrecht auch die Berücksichtigung von gewalttätigen Vorfällen“ „Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des Schutzes von gewaltbetroffenen Personen im familiengerichtlichen Verfahren, zur Stärkung des Verfahrensbeistands und zur Anpassung sonstiger Verfahrensvorschriften“, 37. gehört.
Die Ermittlung des Schutzbedarfs von Kindern und Jugendlichen in Fällen von vermuteter partnerschaftlicher Gewalt ist bislang schon durch die für Deutschland bindenden vertraglichen Vorgaben der sog. Istanbul-Konvention geboten Vgl. „Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des Schutzes von gewaltbetroffenen Personen im familiengerichtlichen Verfahren, zur Stärkung des Verfahrensbeistands und zur Anpassung sonstiger Verfahrensvorschriften“, 37. und sollte grundsätzlich von der (familiengerichtlichen) Rechtsprechung entsprechend praktiziert werden. Vgl. „Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des Schutzes von gewaltbetroffenen Personen im familiengerichtlichen Verfahren, zur Stärkung des Verfahrensbeistands und zur Anpassung sonstiger Verfahrensvorschriften“, 38. Allerdings wurde in diesem Zusammenhang bemängelt, dass „insbesondere die Berücksichtigung der Erfordernisse des Artikel 51 der Istanbul-Konvention […] durch die familiengerichtliche Praxis teilweise unzureichend erfolgt“. „Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des Schutzes von gewaltbetroffenen Personen im familiengerichtlichen Verfahren, zur Stärkung des Verfahrensbeistands und zur Anpassung sonstiger Verfahrensvorschriften“, 38. Art. 51 der Istanbul-Konvention verlangt insofern u. a. eine Analyse der Gefahr, die durch partnerschaftliche Gewalt für Leib und Leben besteht. Vgl. „Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des Schutzes von gewaltbetroffenen Personen im familiengerichtlichen Verfahren, zur Stärkung des Verfahrensbeistands und zur Anpassung sonstiger Verfahrensvorschriften“, 37. Mit der klarstellenden Einführung des § 156a FamFG kann nun eine gesetzliche Konkretisierung erfolgen und damit nicht nur den Vorgaben der Istanbul-Konvention hinreichend entsprochen werden, sondern in der Folge v. a. auch mehr Rechtssicherheit für die betroffenen Jugendlichen geschaffen werden. Kinder leiden in besonderem Maße unter der Gewaltausübung zwischen den Elternteilen, denn „partnerschaftliche Gewalt ist nicht nur ein Paarkonflikt, es ist immer auch eine Kindeswohlgefährdung“. Laura Leidecker, „Kinder im Fokus Partnerschaftliche Gewalt und ihre Folgen“ (Berlin: Deutsche Kinderhilfe – Die ständige Kindervertretung e. V., 2022), 12. Das Miterleben häuslicher Gewalt stellt eine enorme Belastung für sie dar. Vgl. „Kindschaftssachen und häusliche Gewalt. Umgang, elterliche Sorge, Kindeswohlgefährdung, Familienverfahrensrecht“ (Heidelberg: SOCLES International Centre for Socio-Legal Studies, 2022), 77 ff., https://www.bmfsfj.de/resource/blob/185888/804264351973903018ba213d1bd73a5a/kindschaftssachen-und-haeusliche-gewalt-data.pdf (zuletzt abgerufen am 29.07.2024). Kinder und Jugendliche können durch die Zeugenschaft häuslicher Gewalt in ihrer Entwicklung und Gesundheit beeinträchtigt werden, was sich beispielsweise durch Verhaltensauffälligkeiten oder einem Abfall der schulischen Leistungen zeigen kann. Vgl. F. Doherr, D. Hahn, und V. Amontow, „Kinder als Zeugen häuslicher Gewalt – Folgen für Entwicklung und Gesundheit“, Gesundheitswesen, 2014, 76-A37. Damit das angestrebte höhere Maß an Rechtssicherheit Wirkung entfalten kann, sollten bei der Berücksichtigung des kindlichen Schutzbedarfes im familiengerichtlichen Verfahren die verschiedenen Auswirkungen der Gewalt auf das körperliche, geistige und seelische Wohl des Kindes frühzeitig beachtet werden. Vgl. Leidecker, „Kinder im Fokus Partnerschaftliche Gewalt und ihre Folgen“, 10 ff.