Ziel des Gesetzentwurfs
Mit dem Entwurf eines Gesetzes über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag und zur Änderung weiterer Vorschriften soll künftig „das Verfahren für die Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen bei einer Variante der Geschlechtsentwicklung einerseits und bei Abweichen der Geschlechtsidentität vom Geschlechtseintrag andererseits vereinheitlicht“Vgl. „Entwurf eines Gesetzes über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag und zur Änderung weiterer Vorschriften“, 5. Mai 2023, 4. und entbürokratisiert werden. Ziel der Neuregelungen zur selbstbestimmten Änderung des Geschlechtseintrags ist es, die verfassungsrechtlich geschützte Geschlechtsidentität zu wahren und zu schützen.Vgl. „Entwurf eines Gesetzes über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag und zur Änderung weiterer Vorschriften“, 1. Mit dem Gesetz über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag (SBGG) sollen nunmehr sowohl für transgeschlechtliche und nicht-binäre, als auch für intergeschlechtliche Menschen einheitliche Regelungen gelten.Vgl. „Entwurf eines Gesetzes über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag und zur Änderung weiterer Vorschriften“, 2.
Zusammenfassung möglicher Auswirkungen
Das Kompetenzzentrum Jugend-Check hat folgende mögliche Auswirkungen identifiziert:
- Der Geschlechtseintrag und die Vornamen sollen im Personenstandsregister künftig durch eine Erklärung gegenüber dem Standesamt geändert werden können, wenn die Geschlechtsidentität einer Person nicht mit ihrem Geschlechtseintrag im Personenstandsregister übereinstimmt (§ 2 Abs. 1 SBGG). Durch die einfache Erklärung mit Eigenversicherung beim Standesamt können die individuellen Rechte und die Selbstbestimmung intergeschlechtlicher, transgeschlechtlicher sowie nicht-binärer junger Menschen gestärkt werden.
- Durch die Neuregelungen können insbesondere für transgeschlechtliche und nicht-binäre Personen, aber auch für intergeschlechtliche Personen die bestehenden Hürden bei der Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen abgebaut werden. Fortan soll weder das Betreiben eines Gerichtsverfahrens, noch die Vorlage eines ärztlichen Attests oder die Durchführung einer psychologischen Begutachtung erforderlich sein. In der Folge können transgeschlechtliche, intergeschlechtliche sowie nicht-binäre junge Menschen selbst- und weniger fremdbestimmt über ihren Geschlechtseintrag und/oder ihren Vornamen entscheiden. Insbesondere transgeschlechtliche und nicht-binäre junge Menschen könnten psychisch entlastet werden, da für sie auch die Kosten für die psychologischen Gutachten und das Gerichtsverfahren entfallen.
- Minderjährige, die das 14. Lebensjahr vollendet haben, sollen die Änderung ihres Geschlechtseintrags und/oder ihrer Vornamen selbst erklären können (§ 3 Abs. 1 S.1 SBGG). Die Zustimmung ihrer Sorgeberechtigten soll durch eine am Kindeswohl orientierte Entscheidung des Familiengerichts ersetzt werden können (§ 3 Abs 1 S. 2SBGG). Dadurch können minderjährige Betroffene Änderungsentscheidungen selbstbestimmt vorantreiben und die Persönlichkeitsrechte auch ohne Zustimmung der Sorgeberechtigten gewahrt werden.
- Ferner könnten die Neuregelungen für transgeschlechtliche, intergeschlechtliche sowie nicht-binäre junge Menschen insgesamt dazu beitragen, dass sie u.a. weniger geschlechtsbezogene Diskriminierung erfahren. Sie müssten künftig nicht mehr erklären, warum beispielsweise das äußerliche Erscheinungsbild und/oder die empfundene Geschlechtsidentität nach Beurteilung dritter Personen nicht mit dem biologischen Geschlecht auf den Papieren übereinstimmt. Dies kann gerade für Heranwachende in der Auseinandersetzung mit der eigenen Identität von Bedeutung sein.
Betroffene Gruppen junger Menschen
Normadressatinnen und -adressaten sind in der für den Jugend-Check relevanten Altersgruppe junge Menschen im Alter von 14 bis 27 Jahren, die ihren Geschlechtseintrag und/oder ihre Vornamen ändern möchten. Betroffene sind zudem junge Menschen zwischen 12 und 13 Jahren, die ihren Geschlechtseintrag und/oder ihre Vornamen ändern lassen möchten.
Es ist davon auszugehen, dass von dem Gesetzesvorhaben vor allem intergeschlechtliche, transgeschlechtliche sowie nicht-binäre Menschen junge Menschen betroffen sind.
Insgesamt ist eine Betroffenheit junger Menschen zu erwarten, da insbesondere in Jugend und Pubertät eine Auseinandersetzung mit der geschlechtlichen Identität stattfindet.
Jugendrelevante Auswirkungen
Änderung des Geschlechts- und/oder Namenseintrags im Personenstandsregister
§§ 2 Abs. 1 und Abs. 3; 3 Abs. 1 und Abs. 2; 4 S. 1 und S. 2; 5 Abs. 1; 13 Abs. 1 S. 1 und S. 2 SBGG
Der Geschlechtseintrag im Personenstandsregister soll künftig durch eine Erklärung gegenüber dem Standesamt geändert werden können, wenn die Geschlechtsidentität einer Person nicht mit ihrem Geschlechtseintrag im Personenstandsregister übereinstimmt, vgl. § 2 Abs. 1 SBGG. Weiterhin sollen auch ein oder mehrere neue Vornamen durch Erklärung gegenüber dem Standesamt bestimmt werden können, vgl. § 2 Abs. 3 SBGG. Mit dem neuen SBGG sollen nunmehr sowohl für transgeschlechtliche, intergeschlechtliche oder nicht-binäre junge Menschen einheitliche Regelungen gelten.Vgl. „Entwurf eines Gesetzes über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag und zur Änderung weiterer Vorschriften“, 1.
Eine minderjährige Person, die das 14. Lebensjahr bereits vollendet hat, soll die Erklärung zur Änderung des Geschlechtseintrags und/oder der Vornamen selbst abgeben können. Für die Wirksamkeit dieser Erklärung soll jedoch die Zustimmung ihres gesetzlichen Vertreters erforderlich sein, vgl. § 3 Abs 1 S. 1 SBGG. Im Fall einer verweigerten Zustimmung soll es möglich sein, dass das Familiengericht statt des gesetzlichen Vertreters die Zustimmung zu der Erklärung der minderjährigen Person erteilt, wenn die Änderung des Geschlechtseintrags oder der Vornamen dem Kindeswohl nicht widerspricht, vgl. § 3 Abs. 1 S. 2 SBGG. Hat die minderjährige Person das 14. Lebensjahr dagegen noch nicht vollendet oder ist geschäftsunfähig, soll allein der gesetzliche Vertreter die Erklärung zur Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen für die minderjährige Person abgeben können, vgl. § 3 Abs. 2 SBGG.
Zudem soll die Änderung des Geschlechtseintrags und/oder der Vornamen im Personenstandsregister erst dann wirksam werden, wenn die Änderungserklärung nicht innerhalb von drei Monaten gegenüber dem Standesamt zurückgenommen wurde, vgl. § 4 S. 1 SBGG. Innerhalb dieser Frist soll eine schriftliche Rücknahme der Änderungserklärung gegenüber dem Standesamt möglich sein, vgl. § 4 S. 2 SBGG. Danach soll die erneute Änderung des Geschlechtseintrags bzw. der Vornamen nicht vor Ablauf eines Jahres nach der erfolgten Eintragung möglich sein, vgl. § 5 Abs. 1 SBGG.
Ferner soll künftig eine Offenbarung oder Ausforschung der bis zur Änderung eingetragenen Geschlechtszugehörigkeit bzw. der bis zur Änderung eingetragenen Vornamen ohne Zustimmung der Person verboten sein, wenn der Geschlechtseintrag oder der bzw. die Vornamen einer Person auf Grundlage des SBGG geändert wurde, vgl. § 13 Abs. 1 S. 1 SBGG. Eine Offenbarung oder Ausforschung soll nur ausnahmsweise erlaubt sein, wenn besondere Gründe des öffentlichen Interesses dies erfordern oder ein rechtliches Interesse glaubhaft gemacht wird, vgl. § 13 Abs. 1 S. 2 SBGG. Dieses Offenbarungsverbot orientiert sich weitestgehend an der bislang geltenden Regelung für transgeschlechtliche und nicht-binäre Personen,„Entwurf eines Gesetzes über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag und zur Änderung weiterer Vorschriften“, 57. die bislang schon ausdrücklich vor einer Offenbarung ihres geänderten Geschlechtseintrags und/oder ihrer Vornamen geschützt wurden. Für das Offenbarungsverbot zum Schutz von intergeschlechtlichen PersonenDas Offenbarungsverbot zum Schutz von intergeschlechtlichen Menschen wurde bislang in § 45b Abs. 1 Personenstandsgesetz (PStG) iVm §§ 18, 19 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) normiert. §§ 18, 19 BGB sind mittlerweile jedoch ersatzlos entfallen. ist durch den Wegfall der entsprechenden Normen jedoch eine Regelungslücke entstanden. Diese soll nun durch eine Neuregelung des Offenbarungsverbots für intergeschlechtliche Personen (wieder) geschlossen werden.
Durch die einheitliche Neuregelung für transgeschlechtliche, intergeschlechtliche und nicht-binäre Personen, ihren Geschlechtseintrag sowie Vornamen im Personenstandsregister künftig durch eine einfache Erklärung mit Eigenversicherung beim Standesamt ändern zu lassen, können insgesamt die individuellen Rechte junger betroffener Personen sowie deren Selbstbestimmung gestärkt werden. Nach derzeit geltender Rechtslage werden die Voraussetzungen für eine Änderung des Geschlechtseintrags bzw. der Vornamen für transgeschlechtliche und nicht-binäre PersonenDer BGH hat nicht-binäre Personen in einer Entscheidung auf eine entsprechende Anwendung des TSG verwiesen. Demzufolge mussten auch sie bislang zwei Gutachten gemäß TSG vorlegen, vgl. „Entwurf eines Gesetzes über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag und zur Änderung weiterer Vorschriften“, 1. im Transsexuellengesetz (TSG) geregelt.Vgl. „Entwurf eines Gesetzes über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag und zur Änderung weiterer Vorschriften“, 1. Danach müssen transgeschlechtliche und nicht-binäre Menschen ein langwieriges und kostenintensives Gerichtsverfahren durchlaufen und zwei Sachverständigengutachten einholen, um ihren Geschlechtseintrag und/oder ihre Vornamen ändern zu können.Vgl. „Entwurf eines Gesetzes über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag und zur Änderung weiterer Vorschriften“, 18. Die geplante Regelungen zur Änderung des Geschlechtseintrages und/oder des Vornamens können daher insbesondere für transgeschlechtliche und nicht-binäre Personen die bestehenden großen Hürden abbauen, indem künftig weder das Betreiben eines Gerichtsverfahrens, noch die Vorlage eines ärztlichen Attests sowie die Durchführung einer psychologischen Begutachtung für eine Änderung des Geschlechtseintrages und/oder des Vornamens erforderlich sein soll. Gerade bei jungen Menschen kann vermutet werden, dass sie wenig Erfahrung mit dem Justizsystem haben und ein Gerichtsverfahren, u.a. aufgrund seiner langen Dauer und der damit verbundenen hohen Kosten, abschreckend auf sie wirken kann.
In der Folge der Neuregelungen können insbesondere transgeschlechtliche, intergeschlechtliche sowie nicht-binäre junge Menschen selbst- und weniger fremdbestimmt über ihre Geschlechtsidentität und/oder ihren selbst gewählten Vornamen entscheiden. Dies gilt insbesondere für das Selbstbestimmungsrecht von Minderjährigen, die das 14. Lebensjahr vollendet haben, da sie die Änderungen selbst anstreben können. Die Selbstbestimmung wird jedoch insofern eingeschränkt als das die Sorgeberechtigten ihre Zustimmung abgeben müssen. Sofern sie ihren Geschlechtseintrag und/oder ihre Vornamen ändern lassen wollen, bei ihren Sorgeberechtigten jedoch keinerlei Unterstützung dafür erhalten, soll eine am Kindeswohl orientierte Entscheidung des Familiengerichts die Zustimmung der Sorgeberechtigten zu dem Änderungsantrag der Minderjährigen ersetzen können. Dadurch können die Persönlichkeitsrechte der minderjährigen Betroffenen gewahrt werden.
Für transgeschlechtliche, intergeschlechtliche sowie nicht-binäre junge Menschen könnten die Neuregelungen zudem mit einer psychischen Entlastung einhergehen. So bleiben z.B. transgeschlechtlichen und nicht-binären jungen Menschen psychologische Begutachtungen, welche ggf. mit intimen Fragen zu ihrer Geschlechtsidentität und Sexualität bis hin zu Missbrauchserfahrungen in der Kindheit einhergehen, erspart.Vgl. Claudia Krell und Kerstin Oldemeier, „Coming-out – und dann…?! Ein DJI-Forschungsprojekt zur Lebenssituation von lesbischen, schwulen, bisexuellen und trans* Jugendlichen und jungen Erwachsenen“ (Deutsches Jugendinstitut e. V., 2015), 25, https://www.dji.de/fileadmin/user_upload/bibs2015/DJI_Broschuere_ComingOut.pdf (zuletzt abgerufen am: 03.05.2023); Vgl. Kathrin Sanders, „Transsexuellengesetz wird abgeschafft. Der lange Weg zur Selbstbestimmung“, Deutschlandfunk, 2023, https://www.deutschlandfunk.de/transsexuellengesetz-abschaffung-100.html (zuletzt abgerufen am: 03.05.2023). Gerade für Menschen, die sich in der Pubertät befinden, kann eine psychologische Begutachtung oder die Einholung eines ärztlichen Attestes, wie es bislang für intergeschlechtliche Menschen erforderlich ist, schambehaftet und deshalb für die Änderung des Geschlechtseintrags und/oder der Vornamen hinderlich sein. Bislang will eine Vielzahl junger Betroffener den Schritt einer Änderung des Geschlechtseintrags und/oder der Vornamen nicht gehen, da damit ein langwieriger Prozess verbunden ist.Vgl. Krell und Oldemeier, „Coming-out – und dann…?! Ein DJI-Forschungsprojekt zur Lebenssituation von lesbischen, schwulen, bisexuellen und trans* Jugendlichen und jungen Erwachsenen“, 24f. (zuletzt abgerufen am 09.05.2023). Es besteht jedoch die Gefahr, dass junge Menschen therapierelevante psychische und psychosomatische Symptome entwickeln, wenn sie versuchen, ihre Geschlechtsidentität über einen längeren Zeitraum, beispielsweise aus Angst vor Diskriminierungen und Stigmatisierungen, zu unterdrücken.Vgl. Krell und Oldemeier, 13 (zuletzt abgerufen am 12.05.2023). Die künftig einfachere Änderung des Geschlechtseintrags und/oder des Vornamens durch eine Erklärung gegenüber dem Standesamt kann wiederum dazu beitragen, dass der häufig empfundene psychische Druck und die damit einhergehende Belastung für die mentale Gesundheit junger Menschen reduziert wird.
Dadurch, dass künftig die Möglichkeit bestehen soll, den Geschlechtseintrag einfacher ändern lassen zu können, können junge Betroffene eine Entscheidung auch wieder rückgängig machen oder ändern lassen. Dies soll zwar erst nach einem Jahr möglich sein, jedoch geht für junge Menschen damit keine endgültige Entscheidung einher. Die dreimonatige Wartefrist bis zur Wirksamkeit der Änderungserklärung kann jungen Menschen zudem die Gelegenheit bieten, ihren Änderungswunsch zu reflektieren und die Auswirkungen ihrer Entscheidung zu überdenken, bevor sie gültig wird. Andererseits kann die Wartefrist auch belastend auf junge Menschen wirken, als dass sie länger auf die tatsächliche Umsetzung ihrer Änderungsentscheidung warten müssen und dadurch ggf. das Gefühl bekommen können, dass die Ernsthaftigkeit ihrer Änderungsentscheidung in Frage gestellt wird.
Durch den Transfer des Offenbarungsverbots in das SBGG können alle jungen Menschen, die ihren Geschlechtseintrag und/oder ihre Vornamen ändern lassen wollen, weiterhin geschützt werden. Dies ist insbesondere für intergeschlechtliche junge Menschen wichtig, die durch die Regelung erneut davor geschützt werden, dass ihr Geschlechtseintrag und/oder Vorname, der zuvor im Geburtenregister eingetragen war, gegenüber Dritten und ggf. ohne Zustimmung der betroffenen Person offengelegt wird. Zwar sahen schon §§ 18, 19 BGB ein Offenbarungsverbot zum Schutz von intergeschlechtlichen Menschen vor. Diese Normen entfielen jedoch, sodass eine Regelungslücke entstanden ist und intergeschlechtliche junge Menschen zunächst nicht mehr vor einer fremdbestimmten Offenbarung der Änderung ihres Geschlechtseintrags und/oder ihrer Vornamen geschützt waren. Dies soll sich nun durch die (erneute) Schaffung eines Offenbarungsverbots zum Schutz von jungen intergeschlechtlichen Personen ändern. Dadurch soll auch nicht zuletzt eine Stigmatisierung der jungen Personen verhindert werden. Das Offenbarungsverbot kann insbesondere für junge Menschen wichtig sein, die in der Phase der Ausbildung- und Berufungsfindung häufiger als andere Altersgruppen Zeugnisse vorlegen müssen, die bei Betroffenen noch einen anderen Vornamen ausweisen können.
Ferner können junge transgeschlechtliche, intergeschlechtliche sowie nicht-binäre Menschen durch die Gesetzesänderung sowohl materiell als auch zeitlich entlastet werden. Für intergeschlechtliche junge Menschen entfällt künftig die zeitlich aufwändige Pflicht zur Einholung eines ärztlichen Attests. Für transgeschlechtliche und nicht-binäre Personen entfallen fortan zum einen die für die Änderung des Geschlechtseintrages und/oder des Vornamens gesetzlich vorgeschrieben Verfahrenskosten, welche aufgrund der bislang erforderlichen Begutachtung angefallen sind und sich auf durchschnittlich rund 1.900 Euro belaufen. Sie mussten in der Regel selbst getragen werden.Vgl. Dr. Laura Adamietz und Katharina Bager, „Gutachten: Regelungs- und Reformbedarf für transgeschlechtliche Menschen. Begleitmaterial zur Interministeriellen Arbeitsgruppe Inter- & Transsexualität – Band 7. Berlin“, November 2016, 12 (zuletzt abgerufen am: 05.05.2023). Zum anderen müssen die transgeschlechtlichen und nicht-binären jungen Betroffenen künftig − ebenso, wie bislang schon intergeschlechtliche Personen − keine langwierigen Gerichtsverfahren mehr durchlaufen, welche mehrere Monate oder Jahre andauern können.Vgl. Dr. Laura Adamietz und Katharina Bager, 12 (zuletzt abgerufen am: 05.05.2023). Insbesondere junge Menschen, die häufig noch über kein eigenes oder nur ein geringes Einkommen verfügen, können durch den Wegfall der Kosten sowohl für das psychologische Gutachten als auch das Gerichtsverfahren zeitlich und finanziell entlastet werden.
Anmerkungen und Hinweise
Die Wirksamkeit der Änderungserklärung soll nicht von einer (verpflichtenden) Teilnahme an einem Beratungsgespräch abhängig gemacht werden, vgl. § 2 SBGG.„Entwurf eines Gesetzes über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag und zur Änderung weiterer Vorschriften“, 35. Dadurch können volljährige junge Menschen die Entscheidung zur Änderung ihres Geschlechtseintrags und/oder ihrer Vornamen selbstbestimmt und unabhängig treffen. Insbesondere für Minderjährige, die jene Entscheidung aber gemeinsam mit den sorgeberechtigten Personen und nicht ohne professionelle Unterstützung treffen wollen, sollen künftig spezifische Beratungsangebote der Selbsthilfe sowie allgemeine Beratungsangebote der Kinder- und Jugendhilfe etwa nach § 10a Achtes Sozialgesetzbuch zur Verfügung gestellt werden.Vgl. „Entwurf eines Gesetzes über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag und zur Änderung weiterer Vorschriften“, 26. In diesem Zusammenhang bleibt jedoch fraglich, ob trotz des beabsichtigten Ausbaus und der geplanten Ausweitung der Beratungsangebote, insbesondere MinderjährigeVgl. „Entwurf eines Gesetzes über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag und zur Änderung weiterer Vorschriften“, 26., die in ländlichen Regionen leben, von diesen Angeboten profitieren und sie in Anspruch nehmen können. Denn die bislang wenigen existierenden Beratungsangebote für transgeschlechtliche, intergeschlechtliche oder nicht-binäre junge Menschen befinden sich primär in Großstädten. Zahlreiche Beratungsangebote sind zudem auf ehrenamtliche Strukturen angewiesen und werden nicht durch öffentliche Gelder gefördert.Vgl. Krell und Oldemeier, „Coming-out – und dann…?! Ein DJI-Forschungsprojekt zur Lebenssituation von lesbischen, schwulen, bisexuellen und trans* Jugendlichen und jungen Erwachsenen“, 18 (zuletzt abgerufen am 08.05.2023). Es bleibt insofern abzuwarten, inwiefern eine Verbesserung des Beratungsangebots, insbesondere für junge Menschen in ländlichen Regionen, erzielt werden kann.
Quellen
Ziel des Gesetzentwurfs
Mit dem Entwurf eines Gesetzes über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag und zur Änderung weiterer Vorschriften soll künftig „das Verfahren für die Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen bei einer Variante der Geschlechtsentwicklung einerseits und bei Abweichen der Geschlechtsidentität vom Geschlechtseintrag andererseits vereinheitlicht“ Vgl. „Entwurf eines Gesetzes über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag und zur Änderung weiterer Vorschriften“, 23. August 2023, 2. und entbürokratisiert werden. Ziel der Neuregelungen zur selbstbestimmten Änderung des Geschlechtseintrags ist es, die verfassungsrechtlich geschützte Geschlechtsidentität zu wahren und zu schützen. Vgl. „Entwurf eines Gesetzes über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag und zur Änderung weiterer Vorschriften“, 1. Mit dem Gesetz über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag (SBGG) sollen nunmehr sowohl für transgeschlechtliche und nicht-binäre, als auch für intergeschlechtliche Menschen einheitliche Regelungen gelten. Vgl. „Entwurf eines Gesetzes über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag und zur Änderung weiterer Vorschriften“, 2
Zusammenfassung möglicher Auswirkungen
Das Kompetenzzentrum Jugend-Check hat folgende mögliche Auswirkungen identifiziert:
- Der Geschlechtseintrag und die Vornamen sollen im Personenstandsregister künftig durch eine Erklärung gegenüber dem Standesamt geändert werden können, wenn die Geschlechtsidentität einer Person nicht mit ihrem Geschlechtseintrag im Personenstandsregister übereinstimmt (§ 2 Abs. 1 u. Abs. 3 SBGG). Durch die einfache Erklärung mit Eigenversicherung beim Standesamt können die individuellen Rechte und die Selbstbestimmung intergeschlechtlicher, transgeschlechtlicher sowie nicht-binärer junger Menschen gestärkt werden.
- Durch die Neuregelungen können insbesondere für transgeschlechtliche und nicht-binäre Personen, aber auch für intergeschlechtliche Personen die bestehenden Hürden bei der Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen abgebaut werden. Fortan soll weder das Betreiben eines Gerichtsverfahrens, noch die Vorlage eines ärztlichen Attests oder die Durchführung einer psychologischen Begutachtung erforderlich sein. In der Folge können transgeschlechtliche, intergeschlechtliche sowie nicht-binäre junge Menschen selbst- und weniger fremdbestimmt über ihren Geschlechtseintrag und/oder ihren Vornamen entscheiden. Insbesondere transgeschlechtliche und nicht-binäre junge Menschen könnten psychisch entlastet werden, da für sie auch die Kosten für die psychologischen Gutachten und das Gerichtsverfahren entfallen.
- Minderjährige, die das 14. Lebensjahr vollendet haben, sollen die Änderung ihres Geschlechtseintrags und/oder ihrer Vornamen selbst erklären können (§ 3 Abs. 1 S.1 SBGG). Die Zustimmung ihrer Sorgeberechtigten soll durch eine am Kindeswohl orientierte Entscheidung des Familiengerichts ersetzt werden können (§ 3 Abs 1 S. 2 SBGG). Dadurch können minderjährige Betroffene Änderungsentscheidungen selbstbestimmt vorantreiben und die Persönlichkeitsrechte auch ohne Zustimmung der Sorgeberechtigten gewahrt werden.
- Ferner könnten die Neuregelungen für transgeschlechtliche, intergeschlechtliche sowie nicht-binäre junge Menschen insgesamt dazu beitragen, dass sie u.a. weniger geschlechtsbezogene Diskriminierung erfahren. Sie müssten künftig nicht mehr erklären, warum beispielsweise das äußerliche Erscheinungsbild und/oder die empfundene Geschlechtsidentität nach Beurteilung dritter Personen nicht mit dem biologischen Geschlecht auf den Papieren übereinstimmt. Dies kann gerade für Heranwachende in der Auseinandersetzung mit der eigenen Identität von Bedeutung sein.
Betroffene Gruppen junger Menschen
Normadressatinnen und -adressaten sind in der für den Jugend-Check relevanten Altersgruppe junge Menschen im Alter von 14 bis 27 Jahren, die ihren Geschlechtseintrag und/oder ihre Vornamen ändern möchten. Betroffene sind zudem junge Menschen zwischen 12 und 13 Jahren, die ihren Geschlechtseintrag und/oder ihre Vornamen ändern lassen möchten.
Es ist davon auszugehen, dass von dem Gesetzesvorhaben vor allem intergeschlechtliche, transgeschlechtliche sowie nicht-binäre junge Menschen betroffen sind.
Insgesamt ist eine Betroffenheit junger Menschen zu erwarten, da insbesondere in Jugend und Pubertät eine Auseinandersetzung mit der geschlechtlichen Identität stattfindet.
Jugendrelevante Auswirkungen
Änderung des Geschlechts- und/oder Namenseintrags im Personenstandsregister
§§ 2 Abs. 1 und Abs. 3; 3 Abs. 1 und Abs. 2; 4 S. 1 und S. 2; 5 Abs. 1; 13 Abs. 1 S. 1 und S. 2 SBGG
Der Geschlechtseintrag im Personenstandsregister soll künftig durch eine Erklärung gegenüber dem Standesamt geändert werden können, wenn die Geschlechtsidentität einer Person nicht mit ihrem Geschlechtseintrag im Personenstandsregister übereinstimmt, vgl. § 2 Abs. 1 SBGG. Weiterhin sollen auch ein oder mehrere neue Vornamen durch Erklärung gegenüber dem Standesamt bestimmt werden können, vgl. § 2 Abs. 3 SBGG. Mit dem neuen SBGG sollen nunmehr sowohl für transgeschlechtliche, intergeschlechtliche oder nicht-binäre junge Menschen einheitliche Regelungen gelten. Vgl. „Entwurf eines Gesetzes über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag und zur Änderung weiterer Vorschriften“, 1.
Eine minderjährige Person, die das 14. Lebensjahr bereits vollendet hat, soll die Erklärung zur Änderung des Geschlechtseintrags und/oder der Vornamen selbst abgeben können. Für die Wirksamkeit dieser Erklärung soll jedoch die Zustimmung ihres gesetzlichen Vertreters erforderlich sein, vgl. § 3 Abs 1 S. 1 SBGG. Im Fall einer verweigerten Zustimmung soll es möglich sein, dass das Familiengericht statt des gesetzlichen Vertreters die Zustimmung zu der Erklärung der minderjährigen Person erteilt, wenn die Änderung des Geschlechtseintrags oder der Vornamen dem Kindeswohl nicht widerspricht, vgl. § 3 Abs. 1 S. 2 SBGG. Hat die minderjährige Person das 14. Lebensjahr dagegen noch nicht vollendet oder ist geschäftsunfähig, soll allein der gesetzliche Vertreter die Erklärung zur Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen für die minderjährige Person abgeben können, vgl. § 3 Abs. 2 SBGG.
Zudem soll die Erklärung zur Änderung des Geschlechtseintrags und/oder der Vornamen im Personenstandsregister anmeldepflichtig sein, vgl. § 4 S. 1 SBGG. Die Änderungserklärung soll drei Monate im Vornherein bei dem Standesamt angemeldet werden, bei dem auch die Änderungserklärung abgegeben werden soll. Allerdings soll die Anmeldung verfallen, wenn die Änderungserklärung nicht innerhalb von sechs Monaten abgegeben wird, vgl. § 4 S. 2 SBGG. Nach einer erfolgten Änderungserklärung soll die erneute Änderung des Geschlechtseintrags bzw. der Vornamen nicht vor Ablauf eines Jahres nach der erfolgten Eintragung möglich sein, vgl. § 5 Abs. 1 SBGG.
Ferner soll künftig eine Offenbarung oder Ausforschung der bis zur Änderung eingetragenen Geschlechtszugehörigkeit bzw. der bis zur Änderung eingetragenen Vornamen ohne Zustimmung der Person verboten sein, wenn der Geschlechtseintrag oder der bzw. die Vornamen einer Person auf Grundlage des SBGG geändert wurde, vgl. § 13 Abs. 1 S. 1 SBGG. Eine Offenbarung oder Ausforschung von personenbezogenen Daten zur Geschlechtsangabe oder zu Vornamen soll nur ausnahmsweise erlaubt sein, wenn sie durch öffentliche Stellen für amtliche Register oder Informationssysteme verarbeitet werden, besondere Gründe des öffentlichen Interesses ihre Offenbarung erfordern oder ein rechtliches Interesse an ihnen glaubhaft gemacht wird, vgl. § 13 Abs. 1 SBGG. Das Offenbarungsverbot orientiert sich weitestgehend an der bislang geltenden Regelung für transgeschlechtliche und nicht-binäre Personen, Vgl. „Entwurf eines Gesetzes über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag und zur Änderung weiterer Vorschriften“, 62. die bislang schon ausdrücklich vor einer Offenbarung ihres geänderten Geschlechtseintrags und/oder ihrer Vornamen geschützt wurden. Für das Offenbarungsverbot zum Schutz von intergeschlechtlichen Personen Das Offenbarungsverbot zum Schutz von intergeschlechtlichen Menschen wurde bislang in § 45b Abs. 1 Personenstandsgesetz (PStG) iVm §§ 18, 19 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) normiert. §§ 18, 19 BGB sind mittlerweile jedoch ersatzlos entfallen. ist durch den Wegfall der entsprechenden Normen jedoch eine Regelungslücke entstanden. Diese soll nun durch eine Neuregelung des Offenbarungsverbots für intergeschlechtliche Personen (wieder) geschlossen werden.
Durch die einheitliche Neuregelung für transgeschlechtliche, intergeschlechtliche und nicht-binäre Personen, ihren Geschlechtseintrag sowie Vornamen im Personenstandsregister künftig durch eine einfache Erklärung mit Eigenversicherung beim Standesamt ändern zu lassen, können insgesamt die individuellen Rechte junger betroffener Personen sowie deren Selbstbestimmung gestärkt werden. Nach derzeit geltender Rechtslage werden die Voraussetzungen für eine Änderung des Geschlechtseintrags bzw. der Vornamen für transgeschlechtliche und nicht-binäre Personen Der BGH hat nicht-binäre Personen in einer Entscheidung auf eine entsprechende Anwendung des TSG verwiesen. Demzufolge mussten auch sie bislang zwei Gutachten gemäß TSG vorlegen, vgl. „Entwurf eines Gesetzes über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag und zur Änderung weiterer Vorschriften“, 1. im Transsexuellengesetz (TSG) geregelt. Vgl. „Entwurf eines Gesetzes über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag und zur Änderung weiterer Vorschriften“, 1. Danach müssen transgeschlechtliche und nicht-binäre Menschen ein langwieriges und kostenintensives Gerichtsverfahren durchlaufen und zwei Sachverständigengutachten einholen, um ihren Geschlechtseintrag und/oder ihre Vornamen ändern zu können. Vgl. „Entwurf eines Gesetzes über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag und zur Änderung weiterer Vorschriften“, 19. Die geplante Regelungen zur Änderung des Geschlechtseintrages und/oder des Vornamens können daher insbesondere für transgeschlechtliche und nicht-binäre Personen die bestehenden großen Hürden abbauen, indem künftig weder das Betreiben eines Gerichtsverfahrens, noch die Vorlage eines ärztlichen Attests sowie die Durchführung einer psychologischen Begutachtung für eine Änderung des Geschlechtseintrages und/oder des Vornamens erforderlich sein soll. Gerade bei jungen Menschen kann vermutet werden, dass sie wenig Erfahrung mit dem Justizsystem haben und ein Gerichtsverfahren, u.a. aufgrund seiner langen Dauer und der damit verbundenen hohen Kosten, abschreckend auf sie wirken kann.
In der Folge der Neuregelungen können insbesondere transgeschlechtliche, intergeschlechtliche sowie nicht-binäre junge Menschen selbst- und weniger fremdbestimmt über ihre Geschlechtsidentität und/oder ihren selbst gewählten Vornamen entscheiden. Dies gilt insbesondere für das Selbstbestimmungsrecht von Minderjährigen, die das 14. Lebensjahr vollendet haben, da sie die Änderungen selbst anstreben können. Die Selbstbestimmung wird jedoch insofern eingeschränkt als das die Sorgeberechtigten ihre Zustimmung abgeben müssen. Sofern sie ihren Geschlechtseintrag und/oder ihre Vornamen ändern lassen wollen, bei ihren Sorgeberechtigten jedoch keinerlei Unterstützung dafür erhalten, soll eine am Kindeswohl orientierte Entscheidung des Familiengerichts die Zustimmung der Sorgeberechtigten zu dem Änderungsantrag der Minderjährigen ersetzen können. Dadurch können die Persönlichkeitsrechte der minderjährigen Betroffenen gewahrt werden.
Für transgeschlechtliche, intergeschlechtliche sowie nicht-binäre junge Menschen könnten die Neuregelungen zudem mit einer psychischen Entlastung einhergehen. So bleiben z.B. transgeschlechtlichen und nicht-binären jungen Menschen psychologische Begutachtungen, welche ggf. mit intimen Fragen zu ihrer Geschlechtsidentität und Sexualität bis hin zu Missbrauchserfahrungen in der Kindheit einhergehen, erspart. Vgl. Claudia Krell und Kerstin Oldemeier, „Coming-out – und dann…?! Ein DJI-Forschungsprojekt zur Lebenssituation von lesbischen, schwulen, bisexuellen und trans* Jugendlichen und jungen Erwachsenen“, 2015, 25, https://www.dji.de/fileadmin/user_upload/bibs2015/DJI_Broschuere_ComingOut.pdf (zuletzt abgerufen am: 03.05.2023); Vgl. Kathrin Sanders, „Transsexuellengesetz wird abgeschafft. Der lange Weg zur Selbstbestimmung“, Deutschlandfunk, 2023, https://www.deutschlandfunk.de/transsexuellengesetz-abschaffung-100.html (zuletzt abgerufen am: 03.05.2023). Gerade für Menschen, die sich in der Pubertät befinden, kann eine psychologische Begutachtung oder die Einholung eines ärztlichen Attestes, wie es bislang für intergeschlechtliche Menschen erforderlich ist, schambehaftet und deshalb für die Änderung des Geschlechtseintrags und/oder der Vornamen hinderlich sein. Bislang will eine Vielzahl junger Betroffener den Schritt einer Änderung des Geschlechtseintrags und/oder der Vornamen nicht gehen, da damit ein langwieriger Prozess verbunden ist. Vgl. Krell und Oldemeier, „Coming-out – und dann…?! Ein DJI-Forschungsprojekt zur Lebenssituation von lesbischen, schwulen, bisexuellen und trans* Jugendlichen und jungen Erwachsenen“, 24f. Es besteht jedoch die Gefahr, dass junge Menschen therapierelevante psychische und psychosomatische Symptome entwickeln , wenn sie versuchen, ihre Geschlechtsidentität über einen längeren Zeitraum, beispielsweise aus Angst vor Diskriminierungen und Stigmatisierungen, zu unterdrücken. Vgl. Krell und Oldemeier, 13. Die künftig einfachere Änderung des Geschlechtseintrags und/oder des Vornamens durch eine Erklärung gegenüber dem Standesamt kann wiederum dazu beitragen, dass der häufig empfundene psychische Druck und die damit einhergehende Belastung für die mentale Gesundheit junger Menschen reduziert wird.
Dadurch, dass künftig die Möglichkeit bestehen soll, den Geschlechtseintrag einfacher ändern lassen zu können, können junge Betroffene eine Entscheidung auch wieder rückgängig machen oder ändern lassen. Dies soll zwar erst nach einem Jahr möglich sein, jedoch geht für junge Menschen damit keine endgültige Entscheidung einher. Die dreimonatige Anmeldefrist bis zur Vornahme der Änderungserklärung kann jungen Menschen zudem die Gelegenheit bieten, ihren Änderungswunsch zu reflektieren und die Auswirkungen ihrer Entscheidung zu überdenken, bevor sie gültig wird. Entscheiden sie sich gegen eine Änderungserklärung, ist kein weiterer Handlungsbedarf notwendig. Andererseits kann die Anmeldefrist auch belastend auf junge Menschen wirken, als dass sie länger auf die tatsächliche Umsetzung ihrer Änderungsentscheidung warten müssen und dadurch ggf. das Gefühl bekommen können, dass die Ernsthaftigkeit ihrer Änderungsentscheidung in Frage gestellt wird.
Durch den Transfer des Offenbarungsverbots in das SBGG können alle jungen Menschen, die ihren Geschlechtseintrag und/oder ihre Vornamen ändern lassen wollen, weiterhin geschützt werden. Dies ist insbesondere für intergeschlechtliche junge Menschen wichtig, die durch die Regelung erneut davor geschützt werden, dass ihr Geschlechtseintrag und/oder Vorname, der zuvor im Geburtenregister eingetragen war, gegenüber Dritten und ggf. ohne Zustimmung der betroffenen Person offengelegt wird. Zwar sahen schon §§ 18, 19 BGB ein Offenbarungsverbot zum Schutz von intergeschlechtlichen Menschen vor. Diese Normen entfielen jedoch, sodass eine Regelungslücke entstanden ist und intergeschlechtliche junge Menschen zunächst nicht mehr vor einer fremdbestimmten Offenbarung der Änderung ihres Geschlechtseintrags und/oder ihrer Vornamen geschützt waren. Dies soll sich nun durch die (erneute) Schaffung eines Offenbarungsverbots zum Schutz von jungen intergeschlechtlichen Personen ändern. Dadurch soll auch nicht zuletzt eine Stigmatisierung der jungen Personen verhindert werden. Das Offenbarungsverbot kann insbesondere für junge Menschen wichtig sein, die in der Phase der Ausbildung- und Berufungsfindung häufiger als andere Altersgruppen Zeugnisse vorlegen müssen, die bei Betroffenen noch einen anderen Vornamen ausweisen können.
Ferner können junge transgeschlechtliche, intergeschlechtliche sowie nicht-binäre Menschen durch die Gesetzesänderung sowohl materiell als auch zeitlich entlastet werden. Für intergeschlechtliche junge Menschen entfällt künftig die zeitlich aufwändige Pflicht zur Einholung eines ärztlichen Attests. Für transgeschlechtliche und nicht-binäre Personen entfallen fortan zum einen die für die Änderung des Geschlechtseintrages und/oder des Vornamens gesetzlich vorgeschrieben Verfahrenskosten, welche aufgrund der bislang erforderlichen Begutachtung angefallen sind und sich auf durchschnittlich rund 1.900 Euro belaufen. Sie mussten in der Regel selbst getragen werden. Vgl. Dr. Laura Adamietz und Katharina Bager, „Gutachten: Regelungs- und Reformbedarf für transgeschlechtliche Menschen. Begleitmaterial zur Interministeriellen Arbeitsgruppe Inter- & Transsexualität – Band 7. Berlin“, November 2016, 12. Zum anderen müssen die transgeschlechtlichen und nicht-binären jungen Betroffenen künftig − ebenso, wie bislang schon intergeschlechtliche Personen − keine langwierigen Gerichtsverfahren mehr durchlaufen, welche mehrere Monate oder Jahre andauern können. Vgl. Laura Adamietz, „Geschlechtsidentität im deutschen Recht“, Aus Politik und Zeitgeschichte, 2012, Geschlechtsidentität im deutschen Recht | Geschlechtsidentität | bpb.de (zuletzt abgerufen am: 05.05.2023). Insbesondere junge Menschen, die häufig noch über kein eigenes oder nur ein geringes Einkommen verfügen, können durch den Wegfall der Kosten sowohl für das psychologische Gutachten als auch das Gerichtsverfahren zeitlich und finanziell entlastet werden.
Anmerkungen und Hinweise
Die Wirksamkeit der Änderungserklärung soll nicht von einer (verpflichtenden) Teilnahme an einem Beratungsgespräch abhängig gemacht werden, vgl. § 2 SBGG. Vgl. „Entwurf eines Gesetzes über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag und zur Änderung weiterer Vorschriften“, 38. Dadurch können volljährige junge Menschen die Entscheidung zur Änderung ihres Geschlechtseintrags und/oder ihrer Vornamen selbstbestimmt und unabhängig treffen. Insbesondere für Minderjährige, die jene Entscheidung aber gemeinsam mit den sorgeberechtigten Personen und nicht ohne professionelle Unterstützung treffen wollen, sollen künftig spezifische Beratungsangebote der Selbsthilfe sowie allgemeine Beratungsangebote der Kinder- und Jugendhilfe etwa nach § 10a Achtes Sozialgesetzbuch zur Verfügung gestellt werden. Vgl. „Entwurf eines Gesetzes über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag und zur Änderung weiterer Vorschriften“, 28. In diesem Zusammenhang bleibt jedoch fraglich, ob trotz des beabsichtigten Ausbaus und der geplanten Ausweitung der Beratungsangebote, insbesondere Minderjährige Vgl. „Entwurf eines Gesetzes über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag und zur Änderung weiterer Vorschriften“, 28., die in ländlichen Regionen leben, von diesen Angeboten profitieren und sie in Anspruch nehmen können. Denn die bislang wenigen existierenden Beratungsangebote für transgeschlechtliche, intergeschlechtliche oder nicht-binäre junge Menschen befinden sich primär in Großstädten. Zahlreiche Beratungsangebote sind zudem auf ehrenamtliche Strukturen angewiesen und werden nicht durch öffentliche Gelder gefördert. Vgl. Krell und Oldemeier, „Coming-out – und dann…?! Ein DJI-Forschungsprojekt zur Lebenssituation von lesbischen, schwulen, bisexuellen und trans* Jugendlichen und jungen Erwachsenen“, 18. Es bleibt insofern abzuwarten, inwiefern eine Verbesserung des Beratungsangebots, insbesondere für junge Menschen in ländlichen Regionen, erzielt werden kann.